Wednesday, February 19, 2025

Ukraine-Krieg: Europas Antwort auf Amerikas Alleingang

Handelsblatt Ukraine-Krieg: Europas Antwort auf Amerikas Alleingang Waschinski, Gregor Hanke Vela, Jakob Volkery, Carsten • 1Tage • 6 Minuten Lesezeit Führende europäische Staaten haben in Paris über die Strategie für Friedensverhandlungen zum Ende des Ukraine-Kriegs beraten. Es ging auch um die Entsendung von Soldaten. Deutschland ist skeptisch. Der Schock der Münchner Sicherheitskonferenz sitzt tief: Auf dem Treffen bestätigte sich endgültig die Befürchtung der Europäer, dass die USA im Alleingang mit Russland über ein Ende des Ukrainekriegs verhandeln. Führende europäische Staaten sowie Vertreter von EU und Nato haben am Montag in Paris über eine Antwort beraten. „Wir müssen die Ukraine weiter unterstützen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Treffen. Zwar seien Gespräche über Frieden grundsätzlich zu begrüßen. „Aber für uns ist klar: Das bedeutet nicht, dass es einen Diktatfrieden geben kann und dass die Ukraine akzeptieren muss, was ihr präsentiert wird.“ Der britische Premier Keir Starmer sagte: „Es muss eine Rückendeckung durch die USA (für die Sicherheit der Ukraine) geben. Die Sicherheitsgarantie der USA ist die einzige Möglichkeit, Russland wirksam von einem weiteren Angriff auf die Ukraine abzuhalten.“ Beschlüsse und eine Abschlusserklärung gab es nicht. Im Vorfeld hatte es aus dem Umfeld von Gastgeber Emmanuel Macron geheißen, dass es sich bei dem Treffen nicht um einen Gipfel, sondern um „informelle Gespräche“ handele. Scholz sagte, die Runde sei „nicht das Format, wo wir Entscheidungen treffen“. Doch der Arbeitsauftrag an die Europäer war klar: Sie brauchen einen Plan, was sie Trump entgegensetzen können und wie sie sich bei den Ukraine-Verhandlungen einbringen. Damit verbunden ist die strategische Frage, wie Europa angesichts der Bedrohung durch Russland unter Wladimir Putin künftig seine Sicherheit garantieren will. Eingeladen hatte Macron, der seit Jahren ein „souveränes Europa“ bei Sicherheit und Verteidigung fordert. Vor dem Treffen im Élysée-Palast hatte der französische Präsident mit Donald Trump telefoniert. Zu dem Austausch wurden bislang keine Einzelheiten bekannt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte nach ihrer Ankunft in Paris, dass sich Europas Sicherheit „an einem Wendepunkt“ befinde. „Natürlich geht es um die Ukraine, aber wir sind auch betroffen“, so von der Leyen. Die gemeinsame europäische Verteidigung benötige dringend einen Ruck. Macron will „Sichtweisen zusammenführen“ Neben Macron, von der Leyen und Scholz nahmen die Spitzen sechs weiterer Staaten teil: Starmer aus Großbritannien, Giorgia Meloni aus Italien, Donald Tusk aus Polen, Dirk Schoof aus den Niederlanden, Mette Frederiksen aus Dänemark und Pedro Sánchez aus Spanien. Außerdem gehörten EU-Ratspräsident António Costa und Nato-Generalsekretär Mark Rutte zu der Runde. Nach Darstellung aus dem Umfeld des französischen Staatspräsidenten ist das Treffen ein erster Aufschlag, die Ideen würden dann „mit unseren anderen Partnern“ weiterentwickelt. Gemeint sind die EU-Staaten, die bei der Runde am Montag nicht anwesend sind und sich übergangen fühlen könnten. Wichtig ist aus Pariser Sicht aber, in kleinerer Runde zunächst „Sichtweisen zusammenzuführen“, um die anschließenden Diskussionen in Brüssel zu vereinfachen. „Als Konsequenz dieser Beschleunigung beim Ukrainedossier und der Äußerungen der amerikanischen Führung müssen die Europäer mehr, besser und einheitlich für unsere kollektive Sicherheit zusammenarbeiten“, sagte ein einflussreicher Berater Macrons. Bei dem Treffen gehe es darum, „was im Kern der europäische Beitrag zu einem Ausweg aus dem Krieg in der Ukraine sein kann, der die von uns dargelegten Bedingungen respektiert, also die Souveränität und Sicherheit der Ukraine ebenso wie die Europas“. Frage von Friedenstruppen entzweit Europa Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage nach Sicherheitsgarantien. Neben weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine muss aus Sicht des Élysée-Palasts auch die mögliche Entsendung von europäischen Truppen in die Ukraine diskutiert werden. Gerade in diesem Punkt liegen die Europäer noch weit auseinander. Deutschland und Spanien sind sehr skeptisch. Scholz sagte, die Debatte um eine Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einem möglichen friedenssichernden Einsatz sei verfrüht. „Es ist ganz wichtig, dass wir uns klarmachen, da sind wir leider noch lange nicht.“ Macron zeigt sich dagegen schon seit längerer Zeit für den Einsatz von europäischen Soldaten offen. Auch Starmer bekräftigte im Vorfeld seine Bereitschaft, dass sein Land sich mit militärischen Kräften an der Absicherung eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine beteiligt. Für die baltischen Staaten sind Friedenstruppen ebenfalls eine Option, auch Schweden schloss das am Montag nicht aus. Treffen von Delegationen aus den USA und Russland in Saudi-Arabien Seit dem Telefonat von Trump und Putin in der vergangenen Woche zeichnet sich ein Alleingang der USA im Ukrainekonflikt ab. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz deutete sich dann eine erste Bestätigung an: Der amerikanische Ukrainebeauftragte Keith Kellogg gab zu verstehen, dass europäische Vertreter bei Verhandlungen ausgeschlossen würden. Die Nato-Alliierten forderte Kellogg auf, mögliche Beiträge für eine Absicherung wie Soldaten für eine Friedenstruppe, Ausbildungsmissionen oder die Lieferung von Waffensystemen zu melden. Am Dienstag ist ein Treffen in Saudi-Arabien geplant, bei dem Delegationen aus den USA und Russland unter Leitung der beiden Außenminister Marco Rubio und Sergej Lawrow erste Gespräche führen – ohne Europa und zunächst auch ohne die Ukraine. Hochrangige Diplomaten in Brüssel reagierten schockiert darauf, wie weit Trump bereits im Vorfeld der Gespräche auf Putin zugegangen ist. Die neue US-Regierung stellte klar: Die Ukraine soll nicht auf einen Nato-Beitritt hoffen – stattdessen müsse sie sich auf den Verlust russisch besetzter Gebiete einstellen. Die Sorge der Europäer: Trump könnte einer alten russischen Forderung nachkommen und US-Truppen aus Mittel- und Osteuropa abziehen. Damit wäre eines von Putins zentralen strategischen Zielen erfüllt – und Europas Sicherheit in einer gefährlichen Schieflage. Die Leitlinie bei den Diskussionen lautet nun: Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine, keine Entscheidung über Europa ohne Europa. Auch der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj forderte, dass die Europäer „in vollem Umfang an den Friedensverhandlungen und den Bemühungen zur Verhinderung künftiger Kriege“ beteiligt sein müssten. Selenskyj hatte eine weitere Botschaft: „Europa braucht seine eigenen Streitkräfte, jetzt ist die Zeit.“ Der Appell richtete sich auch an die am Montag in Paris versammelten europäischen Staats- und Regierungschefs. Die wollten zwar nicht konkret über eine gemeinsame Armee beraten, aber neben ihrer Strategie in den Ukraineverhandlungen auch über die künftige gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik sprechen. Gemeinsame Schulden für gemeinsame Sicherheit Aus Sicht von Paris gehört dazu nicht nur eine bessere Koordinierung der europäischen Rüstungsprogramme. Die Europäer müssten auch ihre Verteidigungsausgaben deutlich erhöhen. Zur Finanzierung müssten gemeinschaftliche Schulden in der EU in Erwägung gezogen werden. Berlin lehnt neue Gemeinschaftsschulden nach Vorbild des Corona-Krisenpakets bisher ab. Bei dem Gipfel weniger als eine Woche vor der Bundestagswahl wird Deutschland durch Noch-Kanzler Scholz vertreten. In Paris wird aber schon sehr genau registriert, wie sich der CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz in dieser Frage positioniert. Von der Leyen hat angekündigt, dass die Kommission den EU-Staaten größtmögliche Flexibilität bei den EU-Fiskalregeln gewähren werde, damit sie ihre Verteidigungsausgaben erhöhen können. Nach Angaben der Brüsseler Behörde geht es allerdings nicht darum, die Schuldenregeln auszusetzen, wie es 2020 während der Coronapandemie der Fall war. Dafür müsste ein schwerer wirtschaftlicher Abschwung vorliegen. Mitgliedstaaten können seit der Reform der Regel im vergangenen Jahr jedoch eine nationale Ausweichklausel aktivieren, wenn sie aufgrund äußerer Umstände zu außergewöhnlichen Verteidigungsausgaben gezwungen sind. Macron sieht sich in der Führungsrolle Macron will auch weiter die treibende Kraft Europas im Umgang mit Trump sein. Im Élysée-Palast fühlt man sich jedenfalls bestätigt, dass der Präsident mit seinem gerade aus Deutschland kaum erwiderten Ruf nach „europäischer Souveränität“ angesichts der Entwicklungen im Ukrainekonflikt am Ende richtiglag. Die Nato will im Juni neue Fähigkeitsziele für jeden Mitgliedstaat veröffentlichen. Erste Vorstellungen hatte sie bereits im Frühjahr 2024 an die Bündnismitglieder übermittelt. Laut einem internen Dokument des Bundesverteidigungsministeriums, über das die „Welt am Sonntag“ im Oktober berichtet hatte, soll die Zahl der Kampfbrigaden in der Nato von 82 auf 131 steigen, die Zahl der Divisions-Hauptquartiere von 24 auf 38. Laut Nato-Kreisen ist derzeit keine europäische Armee dazu fähig, mit großen Kampfverbänden in Divisionsstärke – entsprechend 20.000 Soldaten – in einen Krieg zu ziehen, auch nicht Großbritannien und Frankreich. Den Europäern fehlen demnach auch weitreichende Präzisionswaffen, Defizite bestehen zudem in der Luftverteidigung. Die Londoner Denkfabrik IISS kam in ihrem kürzlich veröffentlichten Jahresbericht zu dem Schluss, dass Russland im vergangenen Jahr mehr in die Rüstung investiert hat als alle europäischen Länder zusammen, wenn man die Ausgaben um die Kaufkraft bereinigt. Demnach hat Russland den Gegenwert von 462 Milliarden US-Dollar ausgegeben, während die Europäer zusammen nur auf 457 Milliarden US-Dollar kommen. Bereits beim informellen EU-Gipfel am 3. Februar hatten die Staats- und Regierungschefs in Brüssel diskutiert, wie die europäische Aufrüstung schneller und effizienter vorangetrieben werden kann – und welche Rolle die EU dabei spielen soll. Wie schwierig es aber sein wird, nach dem Treffen in Paris die ganze EU auf eine Linie zu verpflichten, zeigte eine Reaktion aus Ungarn: Von einem Besuch in Kasachstan aus mokierte sich Außenminister Peter Szijjarto über die „frustrierten europäischen Anführer“, die mit ihrer Haltung „pro Krieg und anti Trump“ einen Friedensvertrag für die Ukraine verhindern wollten.