Friday, February 7, 2025

„Sie wissen alles – und tun trotzdem nichts dagegen“

WELT „Sie wissen alles – und tun trotzdem nichts dagegen“ Till-Reimer Stoldt • 34 Mio. • 4 Minuten Lesezeit Wann wird die deutsche Politik die Gefahren des politischen Islams endlich mit ausreichendem Ernst bekämpfen? Das fragen sich zahlreiche Islamismus-Kritiker. Sie gründeten nun einen Arbeitskreis gegen religiöse Radikale, um der Politik Handlungsempfehlungen zu unterbreiten. Zahlreiche Islamismus-Kritiker haben sich jüngst zu einem „Arbeitskreis Politischer Islam“ zusammengeschlossen. Er soll die Politik beraten, um reaktionäre und islamistische Muslime zurückzudrängen. Eine der Gründerinnen ist die Publizistin Lale Akgün. Ihre Kritik: Die Politik toleriert hiesige Islamisten, um deren ausländische Unterstützer nicht zu verprellen. Aber wird der „AK Polis“ daran etwas ändern können? WELT: Frau Akgün, 2013 haben Sie eine Prophezeiung gewagt: „Ich befürchte, dass Deutschland sich in 15 Jahren gespalten haben wird entlang der Frage ‚Muslim oder nicht‘. Wer Muslim und was Islam ist, das werden die konservativen Verbände definieren. In 15 Jahren soll bloß kein deutscher Politiker sagen, er habe davon nichts gewusst.“ Ist Ihre Vorhersage eingetreten? Lale Akgün: Ich bin erstaunt, wie weitsichtig ich damals war (lacht). Die ultrakonservativen bis islamistischen Verbände vertiefen die Gräben innerhalb der Muslime und zwischen Muslimen und Andersgläubigen, die Politik geht über dieses Problem nach wie vor hinweg – und ein extremistischer Tiktok-Islam ist inzwischen an den problematischen Verbänden vorbeigezogen und predigt noch weit radikaler die Abtrennung von der vermeintlich ungläubigen deutschen Gesellschaft. Im Internet, in Shisha-Bars oder Kampfsportschulen missionieren diese Extremisten vor allem Jugendliche. Auch in den Vorständen von Moscheevereinen gewinnen sie Einfluss. WELT: Was droht uns, wenn es so weitergeht? Akgün: Dann wird die Spaltung immer tiefer, dann sind wir ein geteiltes Land, weil uns nichts mehr eint, auch nicht das Dach einer gemeinsamen freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung. Die ist ja der erklärte Feind der fundamentalistischen Islam-Influencer. Die sind obendrein tickende Zeitbomben, weil man nicht weiß, wann und wie sich das Gift auswirkt, das sie ihren Anhängern in Form von extremen Feindbildern einspritzen. WELT: Mit den problematischen Muslimverbänden meinen Sie zum Beispiel die DITIB? Akgün: Ja, die vom türkischen Staat gelenkte DITIB bringt ständig politische Botschaften im religiösen Gewand unter die Leute. Das gilt auch für die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die der türkisch-islamistischen Milli-Görüs-Bewegung entspringt. WELT: Gleichwohl schließen Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Hamburg oder Bremen Staatsverträge mit den Verbänden. Und in Ländern wie NRW dürfen sie den islamischen Religionsunterricht mitgestalten. Erst vergangene Woche war auch der ehemalige CDU-Bundesvorsitzende und Ex-NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zu einer Veranstaltung bei DITIB geladen. Akgün: Sogar der Bundespräsident kam zum 50. Gründungsjubiläum des Verbandes der Islamischen Kulturzentren nach Köln und nannte die Gründung des Verbandes „einen Tag der Religionsgeschichte“. Für meinen Geschmack zu viel der Ehre für den VIKZ. Was Laschet angeht, bin ich sehr ernüchtert. Der müsste es besser wissen. WELT: Er steht pars pro toto für eine Politik, die an den Problem-Verbänden festhalten will. Akgün: Ein gewaltiger Fehler! Das Argument, die Verbände verträten die Mehrheit der Muslime in Deutschland, ist offenkundig falsch. WELT: Aber sie vertreten die Mehrheit der organisierten Muslime. Akgün: Ja, das alte Problem. Das haben wir liberalen Muslime nicht ändern können. WELT: Ist die Geschichte des liberalen Reform-Islams in Deutschland eine Geschichte seines Scheiterns? Akgün: Zumindest haben die liberalen, humanistischen Muslime sich nicht erfolgreich organisiert, stimmt. WELT: Von denen gab oder gibt es so einige: den Liberal-Islamischen Bund, den Verband Demokratisch-Europäischer Muslime, die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die von Ihnen mitgegründete „Muslimische Gemeinde im Rheinland“... Akgün: Ja, deren Mitgliederzahlen bewegen sich schon nicht mehr im Mini-, sondern im Mikro-Bereich (sie seufzt). Auch reformerischen Gelehrten wie Mouhanad Khorchide ist kein Umschwung gelungen. Wir alle wollten durch das Beispiel einer aufgeklärt-freundlichen Islam-Auslegung die Stimmung in der muslimischen Gemeinde und in der Mehrheitsgesellschaft verändern. Das hat nicht geklappt. WELT: Zurück zur offenbar eisernen Entschlossenheit der Politik, mit den Problem-Verbänden zu kooperieren: Wie erklärt die sich? Akgün: Wenn die Länder und der Bund nicht die Verfassungsschutzämter hätten, dann könnte man ja fast denken, die Regierungen in Bund und Ländern wüssten nicht, mit wem sie sich da einlassen. Aber das ist natürlich falsch. Denen ist bekannt, wie gefährlich die Verbände sind. Sie wissen alles – und tun trotzdem nichts dagegen. WELT: Warum? Akgün: Weil die deutsche Politik das islamische Ausland nicht völlig verprellen will. Die Bundesrepublik und ihre Bundesländer sind zum Beispiel wirtschaftlich eng mit der Türkei verflochten. Es ist richtig viel Geld des deutschen Mittelstands in der Türkei angelegt. Wir können uns eine Eskalation mit der Türkei ökonomisch kaum leisten. WELT: Welche Rolle spielt die Flüchtlingsfrage? Akgün: Im Blick auf die Türkei eine riesige. Präsident Erdogan besitzt ein mächtiges Druckmittel: Er kann die Grenzen öffnen und Flüchtlingsbewegungen auslösen. WELT: Auch deshalb wagt die deutsche Politik nicht, die von Erdogan unterstützten Verbände auszugrenzen? Akgün: Ja, dazu zählen auf jeden Fall DITIB und IGMG. Über sie hält Erdogan seine Hand. Aber auch andere Länder wie Katar, die mit solchen Verbänden sympathisieren, werden für Deutschland als Handelspartner immer wichtiger. Auch auf sie wird Rücksicht genommen. WELT: Trotzdem fordert Ihr Arbeitskreis Politischer Islam („AK Polis“), die Kooperation mit den Verbänden, ihren Einfluss auf Schüler und das staatliche Dialogforum der Deutschen Islamkonferenz zu beenden. Akgün: Die Islamkonferenz war von Anfang an kaum mehr als ein Presseereignis, das reaktionäre Islamverbände salonfähig gemacht hat. Auch der islamische Religionsunterricht (IRU) dient faktisch dazu, den Einfluss gefährlicher Verbände auf muslimische Schüler sicherzustellen. Der Kampf um diese zukünftige Generation ist aber entscheidend! Ihnen müssen wir eine Alternative zum engen Weltbild der Koranschulen und der reaktionären Moscheen bieten. WELT: Sie wollen den IRU abschaffen? Akgün: Das wäre die beste Lösung. Wir sollten stattdessen eine neutrale Islamkunde einführen, die über den Islam und andere Glaubenswege sachlich informiert. Wer weiß, vielleicht wird es ja eines Tages in allen Bundesländern einen neutralen Unterricht geben, den Juden, Christen, Muslime, Buddhisten und alle anderen gemeinsam besuchen! WELT: Was lässt Sie hoffen, dass Ihr „AK Polis“ deutsche Politiker umstimmen kann? Akgün: Die Gefahr des politischen Islams, hinter dem letztlich eine faschistische Weltsicht steht, wächst. Irgendwann werden die politisch Zuständigen dies womöglich nicht mehr hinnehmen können. Aktuell könnte noch eine andere Erkenntnis überzeugen: Islamismus und deutscher Rechtsradikalismus sind kommunizierende Röhren, sie treiben sich gegenseitig in die Höhe, weil sie einander das ideale Feindbild bieten. Wer beherzt gegen Rechtsradikale auf die Straße geht, sollte also den politischen Islam ebenso leidenschaftlich bekämpfen.