Saturday, February 15, 2025
Kommentar nach Anschlag in München: Das Asylystem ist am Ende
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar nach Anschlag in München: Das Asylystem ist am Ende
Jochen Buchsteiner • 12 Std. • 2 Minuten Lesezeit
Ein Auto wird am Einsatzort auf einen Abschleppwagen gehoben, nachdem ein Fahrzeug in München in eine Menschengruppe gefahren war.
Nach jedem Anschlag eines abgelehnten Asylbewerbers lässt sich der Versuch besichtigen, ein konkretes Versagen dingfest zu machen. Mal hat eine Behörde nicht schnell genug abgeschoben, mal eine Dienststelle Gefährdungshinweise an die falsche Stelle weitergeleitet. Mal sicherte ein Polizeiposten den Marktplatz unzureichend ab, mal fehlte es an psychosozialer Betreuung. Gemeinsam ist diesen Erklärungen, dass sie den Eindruck vermitteln sollen, es bedürfe nur gewisser Korrekturen in einem ansonsten funktionierenden System. Die Wahrheit ist eine andere: Das System an sich ist überfordert.
Etwa drei Millionen Asylbewerber sind in den vergangenen zehn Jahren nach Deutschland gekommen. Viele haben sich gut integriert und bereichern Wirtschaft und Gesellschaft. Viele, zu viele, tun das nicht. Von einem Teil geht sogar ein Sicherheitsrisiko aus, und ein Teil von drei Millionen ist eine relevante Menge. Der Gesundheitsminister schätzte kürzlich, dass fast jeder dritte „Geflüchtete“ unter psychischen Problemen leide. Das schafft eine Gemengelage, die sich von keinem System kontrollieren lässt. Wenn es Hoffnung geben soll, das importierte Risiko wenigstens halbwegs zu beherrschen, dann nur, wenn der Zustrom verebbt.
Neblige Behauptungen machen ratlos
Eben darum dreht sich der asylpolitische Streit dieser Wochen, der mit seinen nebligen Behauptungen und Fachausdrücken viele Wähler ratlos zurücklässt. Im Wesentlichen konkurrieren zwei Auffassungen gegeneinander: Union und FDP sind – wie vorher schon die AfD – zur Überzeugung gelangt, dass jetzt wirksame Sofortmaßnahmen zur Drosselung der Migration zu treffen sind. Hinter der Forderung nach einem „faktischen Einreisestopp“ oder einer „umfassenden Zurückweisung an den Grenzen“ steckt der Plan, auch Asylbewerber von der Einreise fernzuhalten.
Grüne und Sozialdemokraten wehren das Vorgehen mit dem Argument ab, es widerspreche europäischem Recht. Doch wer die Äußerungen und Aktivitäten der vergangenen Jahre hinzuzieht, wird feststellen, dass die beiden Parteien eine „Begrenzung“ der Migration bisher grundsätzlich ablehnten – sie strichen den Begriff 2023 sogar aus dem Aufenthaltsgesetz.
Zum Ende des Wahlkampfs versuchen Kanzler Olaf Scholz und der grüne Kandidat Robert Habeck, ihre Asylpolitik als vergleichsweise schneidig darzustellen. Sie verweisen darauf, dass im vergangenen Jahr fast ein Drittel weniger Asylanträge gestellt wurden als im Jahr 2023. Ob das an den Maßnahmen liegt, die die Ampel zögerlich und meist auf öffentlichen Druck hin ergriffen hat, lässt sich schwer sagen. Sicher ist, dass auch 250.000 neue Asylbewerber – um so viele handelte es sich im vergangenen Jahr – die Herausforderungen nicht verringern werden.
Natürlich bietet die Begrenzung des Zustroms keine Gewähr, dass Taten wie in Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und nun in München künftig ausbleiben. Aber ohne Begrenzung wird sich die Liste des Schreckens mit hoher Wahrscheinlichkeit verlängern. Wenn der nächsten Regierung dieser Kurswechsel misslingt, dürfte der Wunsch der Wähler nach einer Migrationswende stärker werden als die Angst davor, die AfD ins Boot zu holen.