Tuesday, February 4, 2025

Der neue kranke Mann Europas: Frankreichs Premierminister versucht seinen Sturz zu verhindern

Frankfurter Rundschau Der neue kranke Mann Europas: Frankreichs Premierminister versucht seinen Sturz zu verhindern Stefan Brändle • 56 Mio. • 3 Minuten Lesezeit Chaos in Frankreich In Frankreich will Premier Bayrou endlich den Haushalt durch das Parlament bringen. Um die Staatsfinanzen steht es laut Fachleuten schlecht. Wie desolat die Finanzlage Frankreichs ist, zeigt die Budgetfrage: Die zweitgrößte Wirtschaft der EU schaffte es wegen der wackligen Mehrheitsverhältnisse im Parlament seit dem Herbst nicht, einen Haushalt für 2025 zu verabschieden. Am Montag (3. Februar) setzte Premier François Bayrou das Budget kurzerhand in Kraft. Möglich machte dies Artikel 49-3 der französischen Verfassung. Diese institutionelle Brechstange erlaubt es der Regierung, ein Vorhaben ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchzubringen. Voraussetzung ist, dass die Nationalversammlung dem Premier danach das Vertrauen ausspricht. Wenn nicht, käme die Regierung Bayrou zu Fall, wie es dem vormaligen Premier Michel Barnier im Dezember passiert war. Frankreichs Premierminister muss neuen Sturz fürchten – diesmal könnte es aber klappen Bayrou hat nur ein Ziel: Seinen Sturz zu verhindern. Mit Hilfe sozialpolitischer Budget-Konzessionen, darunter der Neueinstellung von 4000 Lehrerinnen und Lehrern, schaffte er es, die Linksfront aufzubrechen und gemäßigte Sozialdemokraten auf seine Seite zu ziehen. Am Montag beschloss die Parti Socialiste, der Bayrou-Regierung das Vertrauen nicht zu entziehen. Die Kommunisten, Grünen, «Unbeugsamen» und das rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen haben damit zusammen zu wenig Stimmen, um Bayrou zu stürzen. Der zentrumsdemokratische Premier weiß die Bevölkerung hinter sich: Die Französinnen und Franzosen haben genug von dem unsäglichen Machtkampf, der im vergangenen Sommer durch die Ansetzung von Neuwahlen durch Präsident Emmanuel Macron ausgelöst worden war. Ein Regierungssturz würde bedeuten, dass wohl bis im Frühling kein Budget mehr zustande käme. Dies würde zum einen die Sozialleistungen schmälern und außerdem das Wirtschaftsleben lähmen; denn in Frankreich machen die öffentlichen Ausgaben die fast schon realsozialistische Höhe von 57 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Haushalt in Frankreich kann Wirtschaft nur bedingt helfen: Steuern müssen steigen Das am Montag per Artikel 49-3 durchgedrückte Budget ist allerdings bei weitem nicht das Heilmittel, das die kranke Wirtschaft Frankreichs bräuchte. Die Staatsfinanzen machen laut dem Ökonomen Marc Touati eine „katastrophale Entwicklung“ durch. Die Staatsschuld ist unter Macron covidbedingt – aber nicht nur deshalb – um 800 auf 3200 Milliarden Euro hochgeklettert. Auch das ist Rekord in Europa. Frankreich, das seit 50 Jahren kein ausgeglichenes Budget mehr schaffte, verzeichnete im vergangenen Jahr mit 6,1 Prozent das höchste Defizit der Eurozone. 2025 soll der Fehlbetrag noch 5,4 Prozent betragen – mehr als in allen Nachbarländern. Die zahlreichen Konzessionen, mit denen Bayrou einen Regierungssturz zu vermeiden hofft, kosten zusätzliche Milliarden. Bayrous Vorgänger Michel Barnier hatte noch 60 Milliarden Euro an Einsparungen geplant; in dem Budget sinken sie auf 32 Milliarden, also fast die Hälfte. Zudem Zweck erhöht Bayrou die Steuern für Großfirmen und Großverdiener:innen für vorerst ein Jahr. Die französische Abgabe auf Flugtickets zu einer europäischen Destination steigert er von 2.63 Euro auf 7.30 Euro. Ist Frankreich der neue kranke Mann in Europa? Wirtschaft schwächelt Zugrunde liegt dem neuen Budget eine Wachstumsrate von 1,1 Prozent. Der Vorsteher der Banque de France, François Villeroy de Galhau, bezeichnete sie indessen am Montag als „zu optimistisch“. Viele Fachleute befürchten, dass Frankreich in eine „technische Rezession“ absacken könnte. 66 000 Unternehmen haben 2024 Konkurs angemeldet, zahllose andere bauen Stellen ab. Die Arbeitslosigkeit ist im letzten Quartal von 2024 um vier Prozent hochgeschnellt. Dazu kommt nun die Drohung von US-Präsident Donald Trump mit höheren Zöllen für europäische Produkte. Frankreich wäre weniger hart getroffen als Deutschland, doch einzelne Branchen wie die Luftfahrt, Luxus, Wein, Chemie und Pharma würden stark leiden. Das würde weiter auf das Wachstum Frankreichs drücken und das Budgetdefizit automatisch hochtreiben. Auch wenn sich ein Regierungssturz fürs erste vermeiden ließe: Frankreich wird mehr und mehr zum kranken Mann Europas.