Sunday, February 23, 2025
Bundestagswahl: Die Grünen schrumpfen ins Ungewisse
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bundestagswahl: Die Grünen schrumpfen ins Ungewisse
Peter Carstens • 7 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Bei den Grünen begann wenige Minuten vor Schließung der Wahllokale der nächste Wahlkampf. Bereits um Viertel vor Sechs traten die beiden Spitzenpolitiker Robert Habeck und Annalena Baerbock vor ihre Anhänger und ließen einen angeblich gelungen Wahlkampf feiern, noch bevor die ersten Prognosen auf dem Großbildschirm im Festsaal Kreuzberg auftauchte und den Kanzlerkandidaten auf knapp 14 Prozent taxierten und einen Verlust an Stimmen und Gewicht vorhersagten. Der Wahlkampf sei „von Anfang an der, den ich führen wollte“. Er sei stolz darauf. Und Baerbock, noch Außenministerin, bescheinigte Habeck, er habe im Winterwahlkampf keine selbst gestrickte Mütze von ihr gebraucht, denn der Wahlkampf sei heiß und der Kandidat „hot“ gewesen.
Das sahen etwaige Kritiker anders, die sich ebenfalls bereits im Saal verteilt hatten, um ihre Deutung der Ereignisse zu platzieren. Bereits früh waren die Chefs der Grünen Jugend eingetroffen, Jette Nietzadt und Jakob Blasel fanden weder den Wahlkampf besonders geklungen noch die mit dem Ergebnis verbundenen Aussichten. Denn anders als Habeck, Baerbock und ein großer Teil der Partei wollen sie verhindern, dass die Grünen mit der Union koalieren. Die Grünen seien „unter ihren Möglichkeiten“ geblieben, sagt Blasel, Klima und soziale Gerechtigkeit hätten eine zu geringe Rolle gespielt. Für den Jugendverband gehe es darum, „linke Politik umzusetzen“ – und das könne man sich mit Friedrich Merz und der Union nicht vorstellen.
„Wir sind immer bereit, Verantwortung zu tragen“
Habeck sah das am Abend ganz anders: Ein „achtbares Ergebnis, aber kein super Ergebnis“. Viele Wähler hätten nicht mehr mit den Grünen in eine Koalition mit der Union gewollt und dann die Linke gewählt, er sei aber immer bereit dazu gewesen, weiter Verantwortung zu tragen, „selbstverständlich“. Die Regierungsbildung müsse schnell abgeschlossen werden. Er setze aber nicht mehr darauf, dass die Grünen als Erste gefragt würden. Auch weil die CSU ein sehr gutes Ergebnis erzielt habe. Aber: „Wir sind immer bereit, Verantwortung zu tragen“.
Für die Parteilinken, die schon die Solo-Kandidatur Habecks kritisch begleitet hatten, war der Wahlkampf spätestens ins Ungute entgleist, als Habeck mit einem eigenen Plan zur strikteren Begrenzung von Migration und einer „Vollstreckungsoffensive“ für offenen Haftbefehle in die Merz-Spur gewechselt war.
Das hatte womöglich auch dazu beigetagen, dass links orientierte Wähler, insbesondere jüngere, vermehrt zu den Linken gewechselt sind. Die war schon bei den nicht offiziellen U18-Wahlen unter Jugendlichen klar stärkste Kraft geworden, am Wahltag haben dann etwa 27 Prozent der Erstwähler die Linke gewählt, 19 Prozent die AfD. Die Grünen halbierten ihren Anteil in dieser Gruppe auf etwa 12 Prozent.
Schmerzen dürften diese Erkenntnisse vor allem den Jüngsten im Parteivorstand, Felix Banaszak, den neuen Parteilinke in der Führung. Banaszak war erst im November des vergangenen Jahres auf Ricarda Lang gefolgt, inzwischen gibt es schon die Sehnsucht nach einer Rückkehr Langs. Banaszak hatte auch auf die eigenen Leute matt gewirkt. Die Partei hat viele junge Leute offenkundig verloren, obgleich sie insgesamt zehntausende Mitglieder in den vergangenen Wochen hinzugewonnen hat. Ob und welche Machtperspektive sie hat, würde erst der weitere Wahlabend zeigen. Eine Zweierkoalition musste man früh abschreiben, die Frage, ob Union und SPD für eine Mehrheit zusätzlich auf die Grünen angewiesen sein würden, blieb zunächst offen. Die Diskussionen über die Möglichkeiten der kommenden Wochen liefen am Wahlabend intern, von der so genannten Wahlparty in Kreuzberg am späten Abend sollten Journalisten ausgeschlossen werden.