Monday, December 9, 2024
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Wegen Syrern entscheidet sich, ob Rot-Grün das Wesen des Asylrechts verstanden hat
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Eine Analyse von Ulrich Reitz - Wegen Syrern entscheidet sich, ob Rot-Grün das Wesen des Asylrechts verstanden hat
FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz • 2 Std. • 6 Minuten Lesezeit
Assad ist weg – was geschieht nur mit den Abertausenden Syrer, die nach Deutschland geflohen sind? Jetzt entscheidet sich unser Verständnis als Einwanderungsland. Was die Grünen wollen, liegt auf der Hand.
Es gibt Merkel I – die hat als Bundeskanzlerin syrische Migranten nach Deutschland hineingelassen. Sie ist ein Streitobjekt bis heute. Am meisten wurde und wird sie gemocht von den Grünen.
Es gibt aber auch Merkel II – und die wurde weitgehend vergessen – auch von den Grünen. Merkel II war von Merkel I schon deutlich desillusioniert. Die „Wir-schaffen-das-Euphorie“ war längst vorbei. Die Gesellschaft gespalten wegen ihrer Willkommens-entscheidung und die AfD wurde immer stärker. Da hat Merkel II das Ruder herumgerissen.
Im Sommer 2016 machte Merkel II dies hier klar: Die meisten Flüchtlinge genössen derzeit nur zeitweiligen Schutz vor allem nach den Vereinbarungen der Genfer Flüchtlingskonvention. Bei allem, was an Integration zu leisten sei, müsse den Betroffenen auch klar gemacht werden, dass es sich um einen zeitweiligen Aufenthaltsstatus in Deutschland handle.
„Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist, wenn der IS im Irak besiegt ist, sie mit dem Wissen, das sie bei uns erworben haben, wieder in ihre Heimat zurückkehren“, sagte Merkel. Nach dem Ende des Jugoslawien-Krieges in den neunziger Jahren seien schließlich auch 70 Prozent der Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.
Deutschland hat eine Million Syrer aufgenommen
So ist im Übrigen auch die Rechtslage, Unionspolitiker wie CSU-Chef Markus Söder pochen darauf. Tatsächlich hat Deutschland mehr als eine Million Syrer aufgenommen. Das ist sehr viel, kein Land in Europa, wenn man die Türkei nicht dazu zählt, hat so vielen Syrern, die aus dem Bürgerkrieg flohen, entweder vor Assad oder vor den Religions-Terroristen vom IS, Schutz geboten.
Länder mit liberaler Praxis wie Schweden machten nach einem Jahr dicht, ost- und südosteuropäische Länder wollten per se keine Moslems aufnehmen – das grundsätzliche flüchtlingsfreundliche Polen etwa (niemand nahm so viele Ukrainer auf) oder Ungarn.
Aber: Kein Land auf der Welt hat so viele Syrer aufgenommen wie die Türkei: drei Millionen Menschen suchten und fanden hier Schutz, für viele Jahre. Und doch sind sie nicht mehr willkommen, der türkische Außenminister Hakan Sidan sagte nur wenige Stunden nach dem Sturz und der Flucht Assads, Millionen von Syrern könnten jetzt in ihre angestammte Heimat zurückkehren. So sagt es auch die Opposition. Die hunderttausendfache Rückkehr bzw. Rückführung syrischer Flüchtlinge ist in dem Aufnahmeland Nummer Eins politischer Konsens.
In Deutschland ist es anders. In Europa auch. Die von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführte Europäische Kommission warnte sogar vor einer Rückkehr von Syrern nach Syrien – die Bedingungen für eine sichere und würdevolle Heimkehr seien derzeit nicht gegeben.
Baerbock verwies auf eine UN-Resolution zu Syrien
Damit warnte Brüssel zugleich vor Abschiebungen – und gibt damit die Debatte in den Mitgliedsländern vor – auch und gerade in Deutschland. Die Bundesregierung ist, was das Flüchtlingsthema angeht, einstweilen auf Tauchstation gegangen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nahmen außenpolitisch Stellung, aber eben nicht innenpolitisch. Baerbock verwies auf eine UN-Resolution, die darauf abzielt, aus Syrien einen multireligiösen, toleranten Staat zu machen – nach 50 Jahren Diktatur. Das hört sich schön an, funktioniert hat ein derartiger Prozess im arabisch-muslimischen Nahen Osten aber noch nie.
In Deutschland hat das Migrations-Bundesamt die laufenden Flüchtlingsverfahren erst einmal gestoppt. Das hatte zuvor Deutschlands wohl wichtigster Migrationsexperte vorgeschlagen, der Konstanzer Rechtsprofessor Daniel Thym. Die gestoppten Verfahren betreffen 47.000 Anträge, die meisten davon wurden zum ersten Mal gestellt.
Mögliche Entwicklungen in Syrien
Die rot-grüne Restregierung spielt offenkundig erst einmal auf Zeit, die Lage ist tatsächlich auch unübersichtlich. Einerseits ist ein schrecklicher Diktator mit erstaunlich wenig Blutvergießen in die Flucht geschlagen worden, seine engsten Verbündeten konnten oder wollten Assad nicht mehr retten.
Andererseits kann niemand beurteilen, was die Gruppe HTS, hinter der sich die neuen Machthaber verbergen, vorhat. Der Kanzler weist schon einmal auf die Bewahrung der territorialen Integrität Syriens hin, das hat Gründe: Eine der von den Experten wie dem deutschen, in London lehrenden Terrorismusforscher Peter Neumann ins Spiel gebrachten Möglichkeiten ist eine Aufspaltung Syriens. Das Gebiet geriete außer Kontrolle.
Eine andere Lösung ist föderalistisch: Syrien als Zentralstaat mit weitgehenden Autonomierechten für religiös-ethnische Minderheiten, für Christen, Drusen und Kurden. Das wäre die positive Variante.
Ein Teil des HTS ist allerdings islamistisch, dessen Vorbild sind die afghanischen Taliban. Deren Ziel ist islamo-faschistisch, ein antisemitischer Scharia-Staat, der sich nach außen die Vernichtung Israels vorgenommen hat.
Israel und USA reagieren knallhart
Das ist auch der Grund, weshalb die israelische Regierung Netanjahu einerseits die Golanhöhen besetzt, andererseits so viel wie möglich der Assad-Armee-Ausrüstung vernichtet hat: Waffen, mit denen Israel angegriffen werden könnte, inklusive von Giftgasvorräten.
Die Israelis nutzten so klug wie kalt das Machtvakuum, um militärisch zum Schutz ihres Landes Fakten zu schaffen. Das machten auch die Amerikaner, die Stellungen der IS-Terroristen bombardierten. Damit schufen sie einen Beitrag für die Entstehung eines möglichst friedlichen syrischen Staates, getreu dem Motto Lenins: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Auch dies sollte festgehalten werden: Während in Brüssel und den anderen europäischen Hauptstädten, auch in Berlin, nur geredet wurde, vorwiegend defensiv und frei von strategischen Überlegungen, wurde von Washington und Jerusalem konsequent und hart gehandelt.
Vor allem Grüne wollen ihre Migrationspolitik beibehalten
Was im Fall der US-Regierung bemerkenswert ist, denn die ist abgewählt, aber noch im Amt. Wie auch die Regierung von Olaf Scholz.
Das Migranten-Thema könnte brisanter nicht sein. Man erkennt es an Versuchen der Grünen, die diese Migrationspolitik immer propagiert haben, nun die Rückkehr der Flüchtlinge zu tabuisieren und jene, die es doch thematisieren, moralisch zu diskreditieren.
Die erste Reaktion mancher Politiker, gemeint sein können nur die der Union, sei nun, abzuschieben. „Menschlich unterirdisch, mit Blick auf Integration schädlich und außenpolitisch kurzsichtig“, urteilte die Ex-Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Deren Nachfolgerin Franziska Brantner erklärte selbst nichts, teilte aber eine außenpolitische Erklärung Baerbocks.
Eine saftige Erklärung gab Erik Marquardt ab, der einer der führenden Migrationspolitiker der Grünen ist und bis zuletzt versucht hatte, die Zustimmung der Grünen zu einer Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik zu verhindern: „Wer nach dem Sturz des Diktators Assad sofort über Abschiebungen von Geflüchteten nach Syrien redet, statt über Wiederaufbau, demokratische Regierungsbildung und Minderheitenschutz vor Ort, hat den politischen Weitblick einer durchschnittlichen Seegurke.“
Meterhohe Brandmauer gegen jede Abschiebung von syrischen Migranten
Man kann schon sehen, wo das hinläuft: Wiederaufbau, demokratische Regierungsbildung, Minderheitenschutz – Grüne bauen jetzt schon eine meterhohe Brandmauer gegen jede Abschiebung von syrischen Migranten auf.
Die Vorgänge in Syrien stellen nicht nur die Flüchtlingspolitik der Regierung zur Debatte, sondern auch deren Praxis der immer schnelleren Einbürgerung. Die verteidigt gerade Olaf Scholz in einem Wahl-Spot seiner SPD gegen die Ankündigung von Friedrich Merz, sie rückgängig machen zu wollen.
Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 75.000 Syrer eingebürgert. Bei dieser Gruppe braucht man über Rückkehr gar nicht mehr zu reden, schon gar nicht über Abschiebung, auch nicht im Fall von Straftätern.
Nach Angaben des von der SPD-Politikerin Nancy Faeser geführten Innenministeriums leben in Deutschland knapp eine Million Syrer. Von denen wurden bislang 5100 als asylberechtigt eingestuft – weit weniger als ein Prozent. 650.000 Syrer haben nicht den Status als politisch Verfolgte, sondern genießen Schutz vor Abschiebung.
Ein Privileg, das auf Zeit vergeben wird und von den Zuständen im Herkunftsland abhängig ist. Im Zusammenhang mit den Syrern ist jedenfalls von der Ankündigung von Scholz, „im großen Stil“ abschieben zu wollen, einstweilen nichts mehr übriggeblieben.
Deutsche Einwanderungspolitik fiel vom einen in das andere Extrem
Eine kommentierende Anmerkung zum Schluss dieses Textes:
Die Einwanderungspolitik in Folge des Zweiten Weltkrieges ging davon aus, die Eingewanderten würden wieder in ihre Heimat zurückkehren. Das war ein großer Irrtum.
Während die ersten bundesrepublikanischen Regierungen, ob Unions- oder SPD-geführt, Migranten wieder loswerden wollten, wollten die beiden rot-grünen Regierungen danach, dass die Migranten in Deutschland blieben und bleiben.
Deutsche Einwanderungspolitik fiel vom einen in das andere Extrem. Beides ging und geht an den Erwartungen der Bürger meilenweit vorbei.