Friday, November 22, 2024
Sahra Wagenknechts Absturz
WELT
Sahra Wagenknechts Absturz
Robert Tannenberg • 2Tage • 3 Minuten Lesezeit
Von starken Umfragewerten beim Bündnis Sahra Wagenknecht ist nichts mehr übrig: In einer aktuellen Befragung schafft es die Partei nicht einmal mehr über die Fünf-Prozent-Hürde. Auch Wagenknecht selbst verliert massiv an Vertrauen.
Die politische Landschaft erlebt eine langsame, aber deutliche Verschiebung: Nach der Euphorie rund um die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) zeichnet sich ein steter Absturz der Partei ab.
Im aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer des Meinungsforschungsinstituts Forsa liegt das BSW nur noch bei vier Prozent – und damit unter der Fünf-Prozent-Hürde. Würde heute gewählt, bliebe die Partei ohne Mandate im Bundestag.
Bei den Landtagswahlen im September fuhr das BSW noch starke Ergebnisse ein. In Sachsen kam die Partei auf 11,8 Prozent, in Thüringen auf 15,8 Prozent und in Brandenburg auf 13,5 Prozent. In allen drei Ländern wurde die Wagenknecht-Partei drittstärkste Kraft.
Ein Blick auf die Langzeitentwicklung der Partei aber zeigt: Seit den Rekordwerten im Sommer und Frühherbst hat die Partei stetig verloren. In der Forsa-Umfrage gelang der Partei mit acht Prozent Anfang Juli der Höchstwert.
Auch bei anderen Umfrageinstituten ist ein Negativtrend klar erkennbar. Beim Insa-Institut rangierte die Partei noch im September bei 10 Prozent, in der aktuellen Erhebung von dieser Woche nur noch bei 7,5 Prozent. Infratest-dimap („Deutschlandtrend“) hatte im August einen Rekordwert von 9 Prozent erhoben, heute sind es 6 Prozent.
Sahra Wagenknechts Vertrauenskrise
Auch die Gründerin selbst, Sahra Wagenknecht, verliert zunehmend an Rückhalt. Seit Oktober 2021 ist ihr Vertrauenswert im Forsa-Politiker-Ranking bis heute um 16 Punkte gesunken, in der November-Erhebung erreichte sie nur noch 17 Punkte.
Besonders gravierend ist der Vertrauensverlust bei den Anhängern ihrer ehemaligen Partei, der Linken. Hier fiel der Wert von 62 Punkten im Jahr 2021 auf heute nur noch 14 Punkte. Im Januar dieses Jahres hatte er noch bei 35 Prozent gelegen.
Selbst unter den eigenen Anhängern bröckelt der Rückhalt. Lag der Wert hier im September noch bei 79 Prozent, kommt Wagenknecht nun auf 68 Prozent. Ein Rückgang von elf Prozentpunkten.
Auch insgesamt sticht Wagenknechts Wert beim aktuellen Politiker-Ranking hervor. Als einzige Politikerin fährt sie ein Minus von 8 Prozentpunkten ein. Niemand verliert so viel wie sie.
Das Politiker-Ranking im Überblick:
Boris Pistorius (57 Punkte, +2)
Hendrik Wüst (47 Punkte, -2)
Daniel Günther (47 Punkte, -2)
Markus Söder (40 Punkte, -2)
Friedrich Merz (39 Punkte, +3)
Lars Klingbeil (37 Punkte, +/-0)
Cem Özdemir (35 Punkte, +/-0)
Hubertus Heil (35 Punkte, +/-0)
Robert Habeck (34 Punkte, +/-0)
Annalena Baerbock (31 Punkte, -1)
Olaf Scholz (30 Punkte, +/-0)
Carsten Linnemann (29 Punkte, +/-0)
Volker Wissing (26 Punkte, -3)
Marco Buschmann (25 Punkte, -3)
Christian Lindner (23 Punkte, -2)
Jens Spahn (23 Punkte, +/-0)
Saskia Esken (20 Punkte, -2)
Sahra Wagenknecht (17 Punkte, -8)
Alice Weidel (15 Punkte, +/-0)
Tino Chrupalla (13 Punkte, -1)
Der Ein-Personen-Kult als Belastungsprobe
Woher kommt der Absturz? Ein Grund: Das BSW ist immer noch eine Ein-Personen-Partei. Sahra Wagenknecht ist das Gesicht und der Motor ihrer Partei. Doch dieser Status als alleinige Zugfigur wird zunehmend zur Belastung.
Bei den Sondierungsgesprächen in Thüringen sorgte die Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit ihrer ständigen Einmischung für erhebliche Verzögerungen, sodass eine erfolgreiche Regierungsbildung lange ungewiss blieb.
Besonders ihre Forderungen in den sensiblen Bereichen der Sicherheitspolitik und Diplomatie beeinflussten die Verhandlungen maßgeblich und führten zu Streit zwischen den Parteien. Nach zahlreichen Änderungen und zähen Verhandlungsrunden zeigte sich Wagenknecht nun zufrieden mit dem Ergebnis: Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, BSW und SPD in Thüringen steht.
Doch in Sachsen platzte die Regierungsbildung unter Beteiligung der Wagenknecht-Partei. BSW-Landeschefin Sabine Zimmermann sagte dazu: „Wir hätten uns verbiegen müssen.“ Nun seien CDU und SPD auf BSW-Stimmen angewiesen.
BSW muss schnell noch vier Landesverbände gründen
Nach dem Bruch der Ampel-Koalition stehen am 23. Februar Neuwahlen an. Das BSW steht unter massivem Zeitdruck. Die ursprünglich geplante Ausarbeitung des Wahlprogramms in „Expertenräten“ wurde verworfen.
Im Schnellverfahren muss die Partei noch vier Landesverbände gründen. Zudem klaffen erhebliche Finanzierungslücken in der Parteikasse. Mit nur handverlesenen 1000 Mitgliedern wird der Kampf um Bundestagsmandate im Februar so eine große Herausforderung.
Im Januar soll entschieden werden, ob sich Wagenknecht als „Kanzlerkandidatin“ aufstellen lassen wird. Dann wird klar sein, ob die Ein-Personen-Partei auch weiterhin eine Ein-Personen-Partei bleibt.