Tuesday, November 26, 2024
Ringen um Europas Handels-Chance – siegt Macron erneut über Scholz?
WELT
Ringen um Europas Handels-Chance – siegt Macron erneut über Scholz?
Artikel von Stefan Beutelsbacher • 6 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Seit Jahren verhandeln Europa und Südamerika über ein Freihandelsabkommen. Im Dezember will Brüssel den Deal abschließen. Während Scholz damit den deutschen Auto- und Maschinenbauern helfen will, versucht Paris, den Pakt zu stoppen. Für Europa steht strategisch viel auf dem Spiel.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Sie zündeten Reifen an und kippten Mist auf die Straße, wieder einmal. Vor wenigen Tagen blockierten französische Bauern eine wichtige Autobahn an der Grenze zu Spanien. Ihr Protest richtete sich gegen ein geplantes Freihandelsabkommen zwischen Europa und Südamerika.
Auch die Supermarktkette Carrefour hält nicht viel davon. Ihr Chef kündigte an, kein Fleisch aus den beteiligten südamerikanischen Staaten zu verkaufen, sollte der Deal unterschrieben werden. Und Frankreichs Premierminister Michel Barnier nannte das ganze Vorhaben kürzlich bei einem Auftritt in Brüssel „katastrophal“.
Seit 25 Jahren schon führt die EU-Kommission Gespräche mit der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur, der Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und Bolivien angehören. Das Ziel ist ein gemeinsamer Markt, eine Zollunion mit fast 800 Millionen Verbrauchern. Brüssel würde die Verhandlungen gerne im Dezember abschließen. Ob das gelingt, ist ungewiss. Deutschland, Spanien und neun weitere europäische Staaten unterstützen das Projekt zwar. Doch Paris bekämpft es mit allen Mitteln.
Der Élysée versuche gerade, erzählt ein EU-Beamter, eine sogenannte Sperrminorität in Brüssel zu mobilisieren. Zieht die französische Regierung vier Staaten, die zusammen 35 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren, auf ihre Seite, kann sie den Deal auf den letzten Metern noch stoppen. Paris, so der Beamte, hoffe auf die Unterstützung Italiens, Österreichs, Polens und der Niederlande. „Wieder einmal“, sagt der Mann, „heißt es: Deutschland gegen Frankreich.“
EU wird auch weiter gut mit den USA zusammenarbeiten
Selten in den vergangenen Jahren schien der Graben zwischen den beiden Nationen – oft als Motor der europäischen Integration bezeichnet – größer. So stand Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Beispiel fest hinter dem Plan der EU-Kommission, zusätzliche Zölle auf Elektroautos aus China zu erheben. Er setzte sich am Ende gegen Bundeskanzler Olaf Scholz durch, der die Zölle aus Sorge vor Pekings Vergeltung unbedingt verhindern wollte. Steht Macron nun vor seinem weiteren Sieg über Scholz?
Frankreich, hört man in Brüssel, dürfte die Sperrminorität nur schwer zustande bekommen. Doch es ist auch kaum vorstellbar, dass die EU-Kommission die Verhandlungen gegen den Willen Macrons abschließt und einen der mächtigsten Staaten auf dem Kontinent einfach ignoriert. Macron dürfte also zumindest weitreichende Zugeständnisse herausholen können. Er fordert zum Beispiel, dass die südamerikanischen Landwirte europäische Produktionsstandards einhalten und die Umwelt schonen müssen, also etwa keine Wälder roden dürfen.
Der Kern des Deals
Das Mercosur-Abkommen soll – vereinfacht gesagt – viele Zölle auf Maschinen, Fahrzeuge und landwirtschaftliche Erzeugnisse abschaffen. Von „cows for cars“ sprechen in Brüssel viele, wenn sie den Kern des Deals beschreiben: „Kühe für Autos.“ Dieser Ausdruck hilft, die Positionen Frankreichs und Deutschlands zu verstehen. Macron fürchtet, dass billiges Rindfleisch aus Argentinien und Brasilien bald Europa überflutet und die französischen Bauern unter Druck setzt. Scholz hingegen will den deutschen Auto- und Maschinenbauern helfen. Er verbindet mit Mercosur die Hoffnung auf neuen Schwung für die schwächelnde deutsche Wirtschaft.
Mercosur ist eine spanische Abkürzung für „Gemeinsamer Markt des Südens“. Im Jahr 2023, so zeigen es Daten der Kommission, beliefen sich die Exporte der EU dorthin auf fast 56 Milliarden Euro. Verschifft wurden neben Autos und Maschinen vor allem Chemikalien und Medikamente. Nach Europa wiederum verkauften die Mercosur-Staaten Fleisch, Rohstoffe, Gemüse, Obst und Kaffee. Fielen die Zölle zwischen den beiden Weltregionen weg, so die Kommission, könnten europäische Unternehmen vier Milliarden Euro pro Jahr sparen.
Es geht aber nicht nur ums Geld. Die Frage ist auch: Kann es sich die EU strategisch leisten, das Mercosur-Abkommen platzen zu lassen? Die Spannungen mit den beiden größten Handelspartnern der Staatengemeinschaft – Amerika und China – nehmen zu. Donald Trump, der Sieger der US-Wahl, kündigte Abgaben in Höhe von zehn, vielleicht sogar 20 Prozent auf alle Importe an. Und Peking verhängte als Antwort auf Brüssels Maßnahmen gegen E-Autos schon Zölle auf europäischen Branntwein. Sollte Brüssel also nicht den Handel mit anderen Weltregionen verstärken?
„Wer mit Europa verhandelt, bekommt einen Vortrag“, sagt Rolf J. Langhammer, Handelsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft. „Wer mit China verhandelt, bekommt einen Hafen.“ Das zeige sich aktuell in Peru. „Dort kann man in Echtzeit zuschauen, wie Europa geoökonomisch an Boden verliert“, so Langhammer. Und das liege auch am drohenden Aus für den Mercosur-Deal.
Langhammer bezieht sich auf den Containerhafen Chancay, den Peking gebaut hat. Der gesamte lateinamerikanische Handel mit Asien, meint der Ökonom, könnte sich schon bald verschieben: weg vom Atlantik und der Route durch den näher an Amerika gelegenen Panamakanal und hin zum Pazifik.
„Im Wettbewerb um den Zugang von wichtigen Ressourcen aus Lateinamerika hat China mit Chancay Fakten geschaffen“, sagt Langhammer. „Gleichzeitig steht das Mercosur-Abkommen wegen des Widerstands Frankreichs und seiner Bauern vor dem Scheitern.“ Um im geoökonomischen Kräftemessen mit den USA und China zu bestehen, meint der Experte, müsse Europa alles daransetzen, den Mercosur-Vertrag schnell abzuschließen.
Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU.