Monday, July 22, 2024

USA: Wie die Chancen von Kamala Harris gegen Donald Trump stehen

Handelsblatt USA: Wie die Chancen von Kamala Harris gegen Donald Trump stehen von Dörner Astrid, Herwartz Christoph, Seckel Timm, • 1 Std. • 6 Minuten Lesezeit Kamala Harris am Montag bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Rückzug von Joe Biden. Als Vizepräsidentin überzeugte sie kaum, als Kandidatin scheint sie alternativlos. Die Vizepräsidentin ist zur Favoritin auf die Nachfolge Joe Bidens als Spitzenkandidat geworden. Sie ist die wohl beste Chance der Demokraten – nicht nur, um das Weiße Haus zu verteidigen. Die Demokratische Partei schöpft dank Kamala Harris Hoffnung, die erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verhindern zu können. Führende Politiker der Demokraten sprachen sich am Sonntag und Montag dafür aus, die amtierende Vizepräsidentin als Spitzenkandidatin zu nominieren. Amtsinhaber Joe Biden hatte seine Kandidatur am Sonntag nach Zweifeln an seinem Gesundheitszustand und wegen sinkender Umfragewerte zurückgezogen. Innerhalb weniger Stunden sammelte Harris Unterstützungsbotschaften von elf demokratischen Gouverneuren ein, außerdem von 33 der 47 demokratischen Senatoren sowie von 156 der 212 demokratischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Der Nachrichtensender CNBC berichtete, Harris habe am Sonntag zehn Stunden am Telefon verbracht, um sich diesen Rückhalt zu sichern. Auch Parteispender zeigten ihre Unterstützung deutlich: Harris sammelte in sieben Stunden 46,7 Millionen Dollar über die Organisation Act Blue ein, die sich für demokratische Kandidaten einsetzt. Zuletzt waren die Spenden nach Bidens verpatztem TV-Duell und weiteren öffentlichen Aussetzern gegen den rechten republikanischen Kandidaten „praktisch zum Erliegen gekommen“, sagt Syga Thomas, geopolitischer Stratege und CEO bei der Beratungsfirma Ensha Advisory Partners. Die Gelder kamen laut Act Blue vor allem durch kleine Beträge zustande, an keinem anderen Tag in diesem Wahlkampf seien mehr Spenden eingesammelt worden. Zum Vergleich: Ex-Präsident Trump sammelte im gesamten Monat Juni 112 Millionen Dollar ein. Großspender der Demokraten äußerten sich zudem öffentlich: „Kamala Harris ist die richtige Person zur richtigen Zeit“, sagte etwa LinkedIn-Gründer Reid Hoffman, der Biden lange unterstützt hatte. Er wolle nun noch mehr Geld für Harris zur Verfügung stellen, berichtete CNBC. Auch Milliardär George Soros und dessen Sohn Alex erklärten, sie wollten Harris finanziell unterstützen. Wenig Erfolg im Amt Die Demokratische Partei wird nun nicht mehr auf das Thema Biden reduziert. Es ist ihre Chance auf einem Neustart in einem von vielen schon verloren geglaubten Wahlkampf. Dass dieser gelingt, ist allerdings nicht selbstverständlich. Die Übergabe einer Präsidentschaftskandidatur ist in den USA kein eingeübter Prozess, könnte sogar rechtlich anfechtbar sein. Und die Kandidatin tut sich seit Jahren schwer damit, die Wähler zu begeistern. Hat Kamala Harris wirklich eine Chance gegen Donald Trump? Ein starkes Profil hat sie nicht. Harris ist relativ neu in der Bundespolitik. Erst 2016 wechselte sie von ihrem Posten als Generalstaatsanwältin Kaliforniens in den Senat. Dort war sie weniger Fachpolitikerin als Vertreterin ihres Bundesstaats. Ihre Bewerbung auf die Präsidentschaftskandidatur scheiterte. Auch im Amt der Vizepräsidentin war sie eher glücklos. Biden übertrug ihr die Zuständigkeit für das Wahlrecht, doch konnte sie sich mit einer Reform nicht gegen die republikanische Mehrheit im Kongress durchsetzen. Außerdem sollte sie die Zahl der unreguliert einreisenden Migranten senken. In den USA sind die Probleme die gleichen wie in Europa: Die Grenzen lassen sich nicht lückenlos überwachen, Transitländer kooperieren zu wenig, eine Abschottung kostet allerdings Menschenleben. Eine Lösung hat Harris dafür bisher nicht gefunden. Entsprechend ist ihr Beliebtheitswert momentan ähnlich schlecht wie jener von Joe Biden. Einige Spitzenpolitiker der Demokraten sind sogar Umfragen zufolge klar beliebter als Harris. Doch die Partei übt sich in Geschlossenheit: „Wir werden Kamala Harris in den kommenden zwei Wochen besser kennenlernen als in den vergangenen 20 Jahren“, sagte Ned Lamont, demokratischer Gouverneur des Bundesstaats Connecticut. Das Amt des Vizepräsidenten sei schlicht nicht darauf ausgelegt, sich in den Vordergrund zu drängen. Was für Kamala Harris spricht Dass nun trotzdem die Wahl schnell auf sie zu fallen scheint, hat zwei entscheidende Gründe: - Erstens lassen sich die Spenden, die Biden für seinen Wahlkampf bislang eingesammelt hat, wohl leichter auf Harris übertragen als auf einen anderen Kandidaten. Klare Regeln dafür gibt es nicht. Aber Juristen sehen ein Risiko darin, Spenden an jemanden zu übergeben, der bisher nicht angetreten war. Harris hingegen hatte sich als „Running Mate“ Bidens offiziell für eine weitere Amtszeit als Vizepräsidentin beworben. - Zweitens könnten die Demokraten ein Bedürfnis nach Stabilität haben. Der Wahlkampf wird hitzig geführt und von Gerichtsprozessen und dem Attentat auf Donald Trump überschattet. Für weitere Experimente ist kein Raum. Je bekannter die Kandidatin ist und je berechenbarer, desto besser. Dass sie mit ihren Wahlkampfreden selten begeistern kann, könnte dabei zugunsten des größeren Zwecks ignoriert werden. Den zweiten Punkt stützt die Tatsache, dass sich bis Montagnachmittag keine parteiinterne Konkurrenz zu Wort gemeldet hat. Ein echter Wettbewerb um die Kandidatur scheint nicht stattzufinden. Diese schnelle Einigkeit könnte allerdings die Parteibasis verärgern. Immerhin hatte es schon breite Kritik daran gegeben, dass Biden seine Kandidatur sehr früh verkündet hatte und damit einen parteiinternen Wettstreit verhinderte, was nach seinem Rücktritt umso deutlicher als Fehler zu erkennen ist. Harris hat das Momentum auf ihrer Seite. Es gibt jedoch Strömungen in und außerhalb der Partei, die einen transparenteren Prozess fordern, um Bidens Nachfolge zu bestimmen. Nancy Pelosi habe sich etwa noch vor Bidens Ausscheiden für einen offenen Prozess ausgesprochen, berichtet die Nachrichtenseite „Politico“. Dadurch sollen mehrere Kandidaten eine Chance bekommen, sich zu profilieren. Die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses gilt noch immer als eine der einflussreichsten Strippenzieherinnen in der Partei. Auch der frühere Präsident Barack Obama, unter dem Biden Vize war, sprach sich bislang nicht für Harris aus. Wie geht es nun weiter? Bereits Anfang August könnten die Demokraten in einer virtuellen Abstimmung Harris nominieren. Der am 19. August beginnende Parteitag könnte zu einer Show werden, die ganz auf die Kandidatin zugeschnitten ist, wie es in den USA üblich ist. Das Szenario gilt vorerst als das wahrscheinliche. Sollte zuvor kein Kandidat eine eindeutige Mehrheit der mehr als 4000 Delegierten hinter sich vereinen können, kommt es zu einem „offenen“ Parteitag: einer Art Mini-Vorwahl, bei der die Kontrahenten die Delegierten überzeugen müssen. Ein solches Ereignis haben die Demokraten seit 1968 nicht mehr erlebt. Damals endete der Parteitag im Chaos – und die Wahl mit einem Sieg der Republikaner. An der Wall Street gibt es Sympathie für einen offenen Nominierungsprozess. „Wenn man einfach Harris durchwinkt, ändert sich an der schlechten Ausgangsposition der Demokraten wenig bis gar nichts“, sagt ein Investor in New York und verweist auf Harris’ schlechte Umfragewerte in wichtigen Bundesstaaten. Klagen die Republikaner? Die Republikaner bereiten sich derweil darauf vor, den Nominierungsprozess rechtlich anzugreifen – behaupten sie zumindest. Die Heritage Foundation hatte bereits vor Monaten eine Übersicht zu Staaten veröffentlicht, in denen es aus ihrer Sicht Chancen für Klagen geben könnte. Darunter seien auch die wichtigen „Swing States“ Georgia und Wisconsin. Staaten wie diese werden nicht fest einer der Parteien zugeschrieben, die Mehrheiten wechseln. Rechtsexperten sehen aber kaum eine Grundlage für eine Klage. Ein Vorwurf ist etwa, dass die Demokraten mit ihrem Verfahren die Ergebnisse der eigenen Vorwahlen ignorierten. Andy Craig vom liberalen Thinktank Rainey Center schrieb in einem Kommentar für den Wirtschaftssender MSNBC: „Diese Behauptungen sind schlicht unwahr.“ Die US-Parteien seien schlicht nicht verpflichtet, überhaupt Vorwahlen abzuhalten, und könnten deshalb auch nicht rechtlich an deren Ergebnisse gebunden werden, so Craig. Der Supreme Court, der oberste Gerichtshof, lasse den Parteien große Freiheiten bei internen Entscheidungen und verbiete den Bundesstaaten, ihnen Vorschriften für Nominierungsverfahren zu machen. Ben Ginsburg, der mehrere republikanische Kandidaten berät, sagte dem Nachrichtensender CNN: „Es obliegt dem Parteitag, einen Kandidaten zu nominieren. Die Rechtslage spricht dafür, dass Gerichte sich der Entscheidung der Parteien fügen und die Wahl den Wählerinnen und Wählern überlassen.“ Wer wird Vize? Völlig offen ist bislang die Frage, wer Kandidat oder Kandidatin für die Vizepräsidentschaft wird. Im Gespräch sind unter anderem Josh Shapiro, der Gouverneur aus dem wichtigen „Swing State“ Pennsylvania, und Roy Cooper, Gouverneur aus North Carolina. „Shapiro hat Potenzial und ist bei den Wählern sehr beliebt“, sagt ein Beobachter aus Washington. Weitere Namen, die kursieren, sind J. B. Pritzker, Milliardär und Gouverneur aus Illinois, der an der Wall Street einige Unterstützer hat und eine mögliche Kandidatur mit eigenem Geld unterstützen könnte. Auch Mark Kelly, Senator aus Arizona, ist im Gespräch. Er ist ehemaliger Astronaut und Ehemann von Gabby Giffords, einer ehemaligen Abgeordneten, auf die 2011 ein Attentat verübt wurde.