Friday, July 19, 2024

Trump-Rede in Milwaukee: Nur ein kurzer Moment der Mäßigung

Frankfurter Allgemeine Zeitung Trump-Rede in Milwaukee: Nur ein kurzer Moment der Mäßigung Sofia Dreisbach • 55 Mio. • 6 Minuten Lesezeit Trump, seine Familie und der Vizepräsidentschaftskandidat J.D Vance mit seiner Frau Usha am Donnerstag in Milwaukee Wenn man so will, war Donald Trumps Auftritt auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee Beweis dafür, Versprechen des früheren Präsidenten besser nicht zu glauben. Er habe seine Rede komplett umgeschrieben, hatte Trump nach dem Attentat vom vergangenen Samstag gesagt: Angriffe auf Joe Biden seien gestrichen worden. Versöhnung sei die Botschaft. Das galt am Donnerstagabend für fünfzehn Minuten. Der Anfang war vielversprechend. „Ich stehe heute Abend mit einer Botschaft der Zuversicht, der Stärke und der Hoffnung vor euch“, sagte Trump. Für seine Rede hatten sich die Ränge im Veranstaltungszentrum in Milwaukee zum ersten Mal bis obenhin gefüllt. Es war der erste Auftritt nach dem Mordanschlag vor einer Woche und Trump sprach zu Beginn leiser als gewöhnlich. Von einer „neuen Ära der Sicherheit, des Wohlstands und der Freiheit“ für Amerikaner aller Religionen und Hautfarben. Dann kam der Satz, auf den viele gewartet hatten: „Die Zwietracht und Spaltung in unserer Gesellschaft muss geheilt werden“, sagte Trump. Er kandidiere, um Präsident für alle Amerikaner zu werden, „denn es gibt keinen Sieg, wenn man für halb Amerika gewinnt“. Trump spricht am Donnerstag auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee. Am Rand der Bühne ist die Feuerwehr-Uniform des bei dem Attentat auf Trump getöteten Anhängers Corey Comperatore aufgebaut. Der Aufruf zur Geschlossenheit sollte freilich nur kurz und nur für ihn gelten. Über vier Tage zerpflückte ein Redner nach dem anderen auf dem Parteitag Bidens Politik – Inflation, Migration, Innere Sicherheit und Außenpolitik. Auch die Video-Einspieler in den Pausen waren nicht schmeichelhaft für den Präsidenten: Mal stolperte er über einen Sandsack, mal fand er seinen Weg nicht von der Bühne. Trump hingegen bewegte sich in den Filmchen rhythmisch zu den „YMCA“-Klängen der „Village People“. „Fight, fight, fight” ist der neue Schlachtruf Trump, seine Familie und der Kandidat für die Vizepräsidentschaft J.D. Vance mit seiner Frau Usha am Donnerstag auf dem Parteitag in Milwaukee Seine Rede zum Abschluss des Parteitags war das Ende dieses großen Spektakels. Trump hatte sich bis dahin tatsächlich jeden Abend in der Arena blicken lassen. Das Parteitagsprogramm wurde unterbrochen und die Sprecherin kündigte den Einmarsch des „nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Präsident Donald J. Trump“ an. Die Menge fing zu toben an, so auch am Donnerstag. Trump-Attentat: Politische Gewalt ist trauriger Teil der US-Geschichte Als er sich am Abend an die Delegierten wandte, fing er nicht gleich an zu poltern. Seine Stimme wurde noch leiser, als er ankündigte, zunächst von einem Erlebnis zu berichten, „von dem ihr kein zweites Mal von mir hören werdet, weil es zu schmerzhaft ist“. Gemeint war das Attentat auf ihn auf einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, vergangene Woche, bei dem ein zwanzig Jahre alter Schütze Trump nur knapp verfehlt und sein rechtes Ohr durchschossen hatte. Er begann die Erzählung: „Es war ein warmer, wunderbarer Tag.“. Selten war es bei einer Kundgebung Trumps so still wie in diesem Moment. Der Moment stand im Kontrast zum sonstigen Umgang mit dem Attentat auf dem Parteitag. Dort war „Fight, fight, fight” der neue Schlachtruf der Delegierten. Die Parole einer berauschten Fan-Gemeinde, in Erinnerung an die Worte, die Trump unmittelbar nach den Schüssen an die Anhänger der Kundgebung gerichtet hatte. Am Mittwochabend sprach Don junior zu den Delegierten. Der älteste Sohn des Präsidenten sagte, er sei immer stolz auf seinen Vater. Über dessen Reaktion auf das Attentat sei er aber besonders stolz. „Under fire“, unter Beschuss, habe Trump seinen Anhängern gezeigt, was Mut und Kampfeswille sei. Seither kenne Amerika den Unterschied zwischen „tough“ und „Trump tough“. Trump lauscht den Huldigungen gütig Sein Vater beschrieb tags darauf, wie er bei dem zischenden Geräusch auf der Bühne sofort gewusst habe, dass es sich um eine Kugel handelte. Er habe sich ans Ohr gefasst und seine Hand sei voller Blut gewesen. Trumps Stimme wurde wieder lauter, als er sagte: „Gott war auf meiner Seite.“ Auch seine Anhänger seien nicht von seiner Seite gewichen. Es habe nach den Schüssen keine Massenpanik, kein Rennen in Richtung Ausgang gegeben. Die Leute hätten sich nicht bewegt, weil sie „wussten, dass ich in ernsten Schwierigkeiten bin“. Diese „schöne Menschenmenge“, diese „unglaublichen Menschen“ hätten ihn nicht im Stich lassen wollen. Demonstrative Gesten fallen Trump bekanntlich schwer. Häufig drückt er seinen Patriotismus etwa dadurch aus, dass er die amerikanische Flagge auf der Bühne öffentlich liebkost. Einen ähnlichen Moment gab es am Donnerstag, als Trump an Corey Comperatore, den getöteten Mann im Publikum der Kundgebung in Butler, erinnerte. Hinter ihm auf der Bühne war dessen frühere Feuerwehruniform aufgebockt. Trump drehte sich um, lief auf das Erinnerungsstück zu und drückte einen Kuss auf den Helm des Getöteten. Auf dem Rücken der Jacke stand allerdings „Compertore“ – hatte man die vermeintlich echte Uniform für den Parteitag hergestellt? Seine Anhänger reagierten dennoch gerührt. Überhaupt zeigte sich in der Arena in Milwaukee der Personenkult in der MAGA-Partei noch einmal in neuem Ausmaß. Wenn Trump die Halle betrat, lief er über einen roten Teppich. Sein Platz war auf der Ehrenloge, deren breite Polster mit weißem Überzug etwas von der „Royal Box“ in Wimbledon hatten. Wie der Pate scharte Trump jeden Tag Familienmitglieder um sich – die Söhne Don junior und Eric waren die ganze Woche über da. Tochter Ivanka und deren Ehemann Jared kamen nur zum Finale, ebenso wie Ehefrau Melania, die in den vergangenen Monaten so gut wie nicht mehr an seiner Seite zu sehen war. Neue und alte politische Freunde, darunter Mike Johnson, der Sprecher des Repräsentantenhauses, und Glenn Youngkin, der Gouverneur von Virginia, durften ebenfalls in der Loge Platz nehmen. Trump unterhielt sich mit seinen Platznachbarn und lauschte ansonsten den Huldigungen der Redner gutmütig von oben. Brach ob einer Lobpreisung stürmischer Applaus oder gar Gejohle aus, errötete er leicht und deutete lächelnd ein „Thank you“ an. Trugen Eltern von im Afghanistan-Krieg Gefallenen oder ein Veteran des Zweiten Weltkriegs patriotische Bekenntnisse vor, erhob sich Trump von seinem Platz und applaudierte. Und wurde an die Tapferkeit und Güte des Anführers der MAGA-Bewegung erinnert, skandierte die Menge „Trump, Trump, Trump“. Einigen Delegierten fielen schon die Augen zu Bis bei Trumps eigener Rede am Donnerstag Stimmung aufkam, dauerte es ein wenig. Dabei war die Ankündigung seines Auftritts durch Dana White, den Vorsitzenden der „Ultimate Fighting Championship“ mindestens ungewöhnlich. Mit zitternden Händen las dieser von einem Zettel ab, wie Trump ihm diese Aufgabe angetragen habe. Mit den Worten: dieser Moment sei „der größte Kampf, den du jemals hattest“. Die letzten Sätze Whites gingen in lautem Jubel unter, da auf dem Videowürfel in der Arena die schon ikonisch gewordenen Aufnahmen Trumps unmittelbar nach dem Anschlag gezeigt wurden: mit Blut im Gesicht und entschlossen gereckter Faust. Amerikanische „Conventions“, die alle vier Jahre zu den Präsidentenwahlen abgehalten werden, leben von der Inszenierung. Sie hatten schon immer wenig zu tun mit deutschen Bundesparteitagen, in denen der Vorsitzende der Antragskommission Spiegelstrich-Konflikte in Programmdebatten der Parteiflügel trickreich weg zu moderieren versucht. In Amerika sind Parteitage Hollywood-Ereignisse mit Luftballons, Uncle-Sam-Hüten und sonstigem Klamauk. Zum klassischen Ablauf einer Trump-Veranstaltung gehörte es auch diesmal, dass zum Ende einer länglichen Rede – die in Milwaukee wenigstens beinahe pünktlich begonnen hatte – einigen Delegierten schon die Augen zufielen. Nach einem ungewöhnlichen Beginn verfiel der republikanische Präsidentschaftskandidat, der seine Nominierung am Donnerstagabend offiziell annahm, schnell wieder in seine üblichen Tiraden über das Versagen der Biden-Regierung, die schlechte wirtschaftliche Lage Amerikas und die katastrophale Lage an der Südgrenze. Trump versucht, alle Wählergruppen anzusprechen Von gemäßigter Rhetorik konnte keine Rede mehr sein, als Trump seinen Zuhörern versprach, er werde die „illegale Migrationskrise“ beenden, indem er die Grenze schließe und die Mauer beende, „die wir schon fast fertig gebaut haben“. Man müsse die „Invasion“ stoppen, die Hunderttausende Amerikaner das Leben koste. Für Ekstase reichte es in Milwaukee mit den altbekannten Phrasen nicht. Am ehesten noch zucken die Amerikaner dieser Tage, wenn es um die Inflation geht. Doch auch hier verschwieg Trump, dass es die auch unter ihm gegeben hatte. Zwischendurch versuchte Trump es noch einmal mit einer gemeinsamen „Vision“ für Amerika. Er reiche jedem Bürger, „jung oder alt, Mann oder Frau, Demokrat, Republikaner oder Unabhängiger, Schwarzer oder Weißer, Asiate oder Latino“ die Hand. Doch spätestens bei der nächsten Bemerkung dürften sich einige Gruppen dann nicht mehr angesprochen gefühlt haben. Da behauptete Trump nämlich, Migranten nähmen Schwarzen und Latinos die Jobs weg. Schon nach der ersten Fernsehdebatte hatte es Kritik an Trump gegeben, als der von „schwarzen Jobs“ sprach. Seine – ganz überwiegend weiße – Anhängerschaft in Milwaukee verzieh ihm derlei Bemerkungen selbstverständlich. Sie hatten sich sogar eine ganz eigene Hommage für ihren Präsidentschaftskandidaten ausgedacht. Trump hatte sich zu Beginn des Parteitags erstmals seit dem Attentat wieder in der Öffentlichkeit gezeigt – mit weiß bandagiertem Ohr. Und so erschienen bis Donnerstag immer mehr Parteitagsteilnehmer mit ebenfalls verbundenem Ohr.