Friday, April 7, 2023
Ursula von der Leyen muss in China durch Ausgang für normale Passagiere
Berliner Zeitung
Ursula von der Leyen muss in China durch Ausgang für normale Passagiere
Artikel von Michael Maier • Vor 3 Std.
Die Besuche von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Peking folgten gegensätzlichen Protokollen. Das Magazin Politico analysiert: „Macron erhielt diese Woche in Peking das volle Ritual des roten Teppichs, wurde bei einem Staatsbankett gefeiert und mit Militärparaden und Kanonenschüssen auf dem Platz des Himmlischen Friedens begrüßt. Als Macrons Flugzeug landete, begrüßte ihn Chinas Außenminister persönlich. Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ankam, holte sie der Umweltminister ab – am regulären Passagierausgang.“ Besonders deutlich wurde die Choreografie am Donnerstag vor dem Treffen in der Großen Halle des Volkes: Chinas Präsident Xi Jinping stieg alle Stufen hinunter, um Macron persönlich zu empfangen. Als von der Leyen später eintraf, musste sie die Treppe allein hochsteigen. Die chinesische Staatspresse zeigte ebenfalls eine klare Gewichtung zugunsten von Macron. Es gab zahlreiche Berichte und Analysen über die Gespräche und das chinesisch-französische Verhältnis. Die Anwesenheit von der Leyens wurde in wenigen, höflich-distanzierten Sätzen abgehandelt. Die Auftritte vor der Presse waren ebenfalls gänzlich unterschiedlich: Macron und Xi traten gemeinsam vor die Presse, die keine Fragen stellen durfte. Von der Leyen empfing die Medien allein in der EU-Dependance in Peking, wo zwar Fragen zugelassen waren. Doch die Antworten wurden nur in den West-Medien transportiert. Ein einziger kleiner diplomatischer Ausrutscher unterlief Macron bei dem Presseauftritt: Er sprach doppelt so lang wie Xi und sprach diesen direkt ein, ein „faux pas“, der die Chinesen zwar irritierte, jedoch nicht nachhaltig verärgert haben dürfte. Denn China will mit Frankreich Geschäfte machen und den kulturell-wissenschaftlichen Austausch pflegen. Dies zeigte sich bei Macrons Besuch in Guangzhou. Macron lieferte einen historischen Diskurs, wie die South China Morning Post (SCMP) berichtete: Als das französische Schiff Amphitrite 1698 den Hafen von La Rochelle verließ und in Kanton ankam – dem heutigen Guangzhou – seien keine Soldaten oder Kaufleute an Bord gewesen, sondern Mathematiker, so Macron zu Studenten und Gelehrten der Sun-Yat-sen-Universität. Macron sagte, die Reise sei „ein bisschen wie eine Metapher“ für die Gegenwart. Durch die gemeinsame Arbeit an Wissenschaft und Wissen „kann Freundschaft genährt werden“, sagte er. Er diskutierte mit den Studenten und rief sie auf, Kritik hochzuhalten, die Fragen der Studenten wurden auf Französisch gestellt. Peking war bemüht, auch die enge persönliche Beziehung zwischen den beiden Politikern sichtbar zu machen. Die SCMP berichtet: „Xis seltener Ausflug mit einem ausländischen Führer außerhalb der Hauptstadt Peking fand im Songyuan Hotel statt, einem luxuriösen und traditionellen chinesischen Veranstaltungsort im Gartenstil, den Provinzführer normalerweise nutzen, um hochrangige Staats- und Parteiführer zu empfangen. Im Jahr 2018 hielten Xi und der indische Premierminister Narendra Modi ein Gipfeltreffen an einem See im Zentrum der Stadt Wuhan ab.“
Bei dem Treffen wurden ostentativ einige Verträge mit Unternehmen abgeschlossen. Macron hatte eine hochrangige Delegation von Managern mitgebracht, was in Peking mit großem Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde. Für Macron sind diese Deals wichtig, weil er wegen der sozialen Unruhen in Frankreich unter enormen Druck steht. Im Ukrainekrieg wollte sich China dagegen von Macron nicht in irgendeine Richtung drängen lassen. Der Franzose hatte zuvor angekündigt, er werde versuchen, Peking zu mehr Druck auf Moskau zu bewegen. Doch Xi lieferte lediglich einen sehr allgemeinen Appell zur Zurückhaltung an alle Beteiligten. Zuvor hatte Xi von der Leyen gesagt, dass die Beziehungen zwischen der EU und China nicht von „Dritten“ bestimmt werden dürften. Im Zug der sich verschärfenden geopolitischen Auseinandersetzung ist es seit einiger Zeit ein chinesisches Leitmotiv, die gesamte Welt vor einer zu großen Abhängigkeit von den USA zu warnen. In diese Kerbe schlug am Freitag auch der russische Außenminister Sergej Lawrow anlässlich eines Besuchs in der Türkei. Lawrow sagte, Friedensgespräche zur Beilegung des Ukrainekriegs seien nur im Zuge einer „neuen Weltordnung“ ohne eine „Hegemonie“ der USA möglich.
Der Kampf um die geltende „Weltordnung“ wird jedenfalls von verstärktem militärischen Säbelrasseln begleitet: Nach dem Treffen der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen mit dem Vorsitzenden des amerikanischen Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, hat China nach Angaben aus Taipeh den zweiten Tag in Folge drei Kriegsschiffe in die Nähe von Taiwan geschickt. Außenminister Antony Blinken warnte Peking, ein Einmarsch in Taiwan könne eine weltweite Weltwirtschaftskrise auslösen.