Saturday, April 1, 2023
Olaf Scholz: Das Ende der Fortschrittskoalition
ZEIT ONLINE
Olaf Scholz: Das Ende der Fortschrittskoalition
Artikel von Jana Hensel • Vor 7 Std.
Diese Woche legt die Probleme der Methode Scholz offen: Der Bundeskanzler ist nicht mehr in der Lage, Fortschritt zu organisieren. Die Ampel gerät aus dem Gleichgewicht.
So sehr SPD, Grüne und FDP auch weiter um die Deutung der Beschlüsse der Ampel-Koalition ringen, so schlicht und knapp lassen sich die Ergebnisse doch zusammenfassen: Eine sozialdemokratische Handschrift lässt sich nur insofern erkennen, als Olaf Scholz den Liberalen bei vielen ihrer Forderungen nachgab, während er die Grünen zu teilweise so schmerzhaften Kompromissen wie die Aufweichung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz zwang.
Das Gleichgewicht der Ampel, in denen sich drei höchst unterschiedliche Partner einmal auf Augenhöhe begegnen wollten, damit aus der Summe der einzelnen Teile Fortschritt entstünde, scheint immer mehr verloren zu gehen. So sehr aus dem Tritt wie nach dieser Woche jedenfalls war es seit Bestehen der Koalition noch nie geraten. Echten Fortschritt im Klimaschutz nämlich wird es wohl bis auf Weiteres mit der SPD und der FDP nicht geben. Die Sache mit dem Klimakanzler hat sich nun also endgültig erledigt. Stattdessen haben sich die Sozialdemokraten mit der FDP in diesen Fragen gegen die Grünen verbündet.
Der Verhandlungsmarathon im Kanzleramt und sein Nachspiel in der Öffentlichkeit führen zu demselben Befund: Die Methode Scholz funktioniert nicht mehr. Sie ist nämlich nicht in der Lage, Fortschritt zu organisieren. Denn für Fortschritt müsste man streiten, debattieren, Standpunkte austauschen, gern auch: sich gegenseitig Positionen abringen. Der abwartende, zögerliche, auch schweigsame und zuweilen reichlich passive Regierungsstil des Bundeskanzlers aber organisiert das Gegenteil: Er weicht aus, blockiert im Zweifelsfall und nimmt bereits vereinbarte Schritte wieder zurück, wenn sie zu gesellschaftlichen Debatten führen und also besprochen und ausgeräumt werden müssten. Über die Macht der Worte verfügt der Kanzler einfach nicht. So verzwergt er beharrlich den Selbstanspruch der Ampel und führt die Koalition augenscheinlich in ein Arbeitsklima, in dem für eine konstruktive und von gegenseitigen Einigungswillen geprägten Atmosphäre kaum mehr Platz zu sein scheint. Anders sind die mehr als 30 Stunden dauernden, häufig stillstehenden Verhandlungen nicht zu erklären.
Aber schon in den Wochen vor dem Koalitionsausschuss hatte sich gezeigt, dass längst nicht mehr aufging, was seit Beginn der Legislatur aus der Perspektive der Sozialdemokraten wie ein brauchbares Erfolgsrezept aussah: Die SPD ließ die kleineren Koalitionspartner Grüne und FDP sich wie die Kesselflicker – zum Beispiel über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken oder über die sogenannten E-Fuels – streiten, um wie in letzter Minute rettend herbeizueilen und die Knoten mithilfe eines Minimalkonsenses zu lösen. Ohne allerdings zu sagen, wo man selbst steht. Scholz will nur eines verkörpern: den rational agierenden Erwachsenen, umringt von lauter Kindern.
Gegen diese Strategie begannen die Grünen immer stärker zu rebellieren. Vor allen anderen war es der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der seinen Koalitionspartnern in der vergangenen Woche vorwarf: "Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt." Weil er sich zum Beispiel mit seinem geplanten Vorhaben, den Einbau von Gas- und Ölheizungen nach dem Jahr 2024 gesetzlich verbieten lassen zu wollen, wochenlang für etwas kritisieren lassen musste, was eigentlich schon einmal ziemlich einvernehmlich im Koalitionsvertrag beschlossen worden war. In den Umfragewerten stehen jedenfalls weder die Grünen noch die FDP besonders glänzend da. Nur die SPD kann momentan einigermaßen zufrieden sein.
Der Frust, der sich da also bei Habeck und auch anderen Grünen entlud, ist vor allem damit zu erklären, dass die Methode Scholz die Koalition wie in ein Korsett zwingt. Sie ist zuallererst auf ihn selbst zugeschnitten und versucht, seine jeweiligen Stärken und Schwächen beinahe ins Absolute zu setzen. Allen anderen fällt dabei mehr oder weniger die Rolle von Statisten zu. Zu Scholz' Stärken zählen dabei zweifellos seine Beharrlichkeit, seine jahrzehntelangen Verhandlungserfahrungen und der Umstand, dass er ein eingeschworenes Team um sich weiß. Seine große Schwäche aber bleibt seine Kommunikation, oder vielmehr: seine spärliche Kommunikation, die auch der wendige Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, so sehr er sich hinter den Kulissen auch bemüht, nicht gänzlich ausgleichen kann.
Anders gesagt: Scholz' Methode ist weniger ein beweglicher, durchlässiger und moderierender Führungsstil, mit dem sich immer wieder ins Offene gehen ließe, sondern eine starre Abfolge des Immergleichen. Und je länger diese Ampel regiert, desto fester scheinen sich diese Abläufe zu verschließen, desto undurchlässiger drohen sie zu werden, desto weniger Fortschritt lassen sie zu. Diesen Eindruck jedenfalls hinterlassen nun auch der Koalitionsausschuss und sein Nachspiel.
Das war einst anders. Nach der Bundestagswahl, und vor allem in den Koalitionsverhandlungen, hieß es immer wieder von Beteiligten, Scholz habe noch um ein Gleichgewicht gerungen. Da sei die Erkenntnis, beiden kleineren Koalitionspartnern jeweils eigene Identitätsräume zu lassen, noch handlungsleitend gewesen. Scholz habe damals durchaus große Momente der Offenheit gehabt und gezeigt, dass er seiner neuen Rolle als Moderator in einem Dreierbündnis durchaus auch etwas Sinnstiftendes abgewinnen könne. Auch mit seiner Entscheidung der sogenannten Richtlinienkompetenz hat er es zuletzt ja noch geschafft, sich sowohl auf die Grünen als auch auf die FDP zuzubewegen und den Streit um die Verlängerung der Atomkraftwerke zu befrieden.
Diese Zeit scheint ganz offensichtlich schon wieder vorbei. Scholz ist nun wieder ganz bei sich selbst angekommen. Der 64-Jährige, der ja anders als Angela Merkel eher im letzten Drittel seiner langen politischen Karriere ins Kanzleramt eingezogen ist, hatte ohnehin nie den Eindruck gemacht, sich im Amt des Bundeskanzlers selbst noch als ein Werdender zu betrachten. Sich noch einmal auf eine gänzlich neue und unbekannte Reise begeben zu wollen. Auch wenn er als Kanzler freilich so viel Verantwortung trägt wie nie in seinem Leben, unter so großer öffentlicher Beobachtung steht wie nie zuvor und eben nicht länger nur eine Stadt (Hamburg) oder ein Ministerium (das Finanzministerium) anführt – sondern das ganze Land.
Nein, Scholz erschien vielmehr als einer, der im Bundeskanzleramt endlich angekommen war. Seine Wahl galt ihm als Bestätigung, mit seinem bisherigen Politikstil stets richtig gelegen zu haben und nun fortan auch auf das Bewährte zurückgreifen zu können – obwohl es eine solche Dreierkonstellation im Bund nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat und Scholz in Hamburg mit den Grünen oft nach dem Koch-Kellner-Prinzip regierte. Seine Mitarbeiter preisen ihn jedenfalls gern als den erfahrensten Kanzler, der je ins Amt gekommen ist.
Und über viele Erfahrungen verfügt Scholz, wie gesagt, zweifellos, aber sie speisen sich eben aus vergangenen Zeiten großer Volksparteien und scheinen von ihnen auch charakterlich geprägt. Soll man so weit gehen und sagen, dass Scholz mit den Grünen auch eine Art Generationenkonflikt austrägt? Kann sein. Der Wille zum Fortschritt jedenfalls scheint ihm immer stärker zu entweichen. Gut möglich, dass Scholz somit immer mehr zum Besitzstandswahrer wird. Damit muss es nicht zum Ende dieser Fortschrittskoalition an sich kommen, aber wohl zum Ende des Fortschritts in dieser Koalition.