Saturday, April 1, 2023
Analyse - Und plötzlich wird Habeck klar, dass er es selbst verbockt hat
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Analyse - Und plötzlich wird Habeck klar, dass er es selbst verbockt hat
Artikel von Von FOCUS-online-Redakteur Christian Böhm • Vor 9 Std.
Im großen „Zeit“-Interview nach dem Marathon-Koalitionsausschuss gibt sich Robert Habeck auch selbstkritisch. Die Heiz-Geschichte, sagt er, hätte einer besseren Erklärung bedurft. Stimmt! Denn wo Wärme nötig gewesen wäre, regierte der kalte Hauch der Technokratie.
Robert Habeck: Wohin führt der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Deutschland?
Was Jahrzehnte aufgrund der für uns günstigen weltpolitischen Großwetterlage funktionierte, tut es nun nicht mehr: mein Diesel, mein Kotelett, meine Heizung. Von wegen! Alles scheint irgendwie gefährdet, ganze Lebensmodelle stehen auf der Kippe. Das macht nicht nur Angst, sondern tut auch weh - im Kleinen wie im Großen.
Das Tempo der Veränderungen ist gewaltig. Gerade nach so vielen Jahren verordneten Stillstands. Habecks sogenannter Heizungs-Hammer war deshalb eigentlich eine Bombe, die vor unser aller Augen explodierte. Millionen Eigenheimbesitzer sahen sich schon die alten Heizkessel herausreißen.
Habecks Heiz-Pläne haben Potenzial für sozialen Sprengstoff
Bis heute ist unklar, wer den zugrundeliegenden Referentenentwurf der Novelle des Gebäudeenergiegesetz (GEG) an die „Bild“ durchgestochen hat. Die FDP, um sich als Mittelstandsbewahrer zu inszenieren, das SPD-geführte Kanzleramt, um Habeck eins auszuwischen oder gar die Grünen selbst, um die Dringlichkeit der Wärmewende ins Volk zu hämmern?
Ziemlich laut und erwartbar war jedenfalls der Aufschrei, bedeuteten die Pläne doch nichts anderes als ein De-Facto-Verbot von Öl- und Gasheizungen ab dem kommenden Jahr.
Der Wohn- und Raumsoziologe Torsten Bölting attestiert dem Vorhaben im Gespräch mit FOCUS online auch weiterhin das Potenzial für sozialen Sprengstoff. „Die Bürgerinnen und Bürger werden erst massiv verunsichert, bevor man dann vage zurückrudert“, stellt Bölting klar. Das schaffe kein Vertrauen in Politik und ist eine Gefahr für die Gesellschaft.
Der Professor für Sozialwissenschaften an der EBZ Business School in Bochum warnt: „Das Protest-Potenzial nimmt zu. Die Milieus, die unzufrieden sind, nehmen zu. Das fordert uns heraus als Gesellschaft, weil wir diese Gruppen nicht einfach zurücklassen können.“ Bölting hält es für viel wichtiger, die Menschen, die es betrifft, mitzunehmen, als die Technologie - in dem Zusammenhang war vor allem von der Wärmepumpe die Rede - in den Vordergrund zu stellen.
Lesen Sie das ganze Interview: Habecks Heiz-Pläne entschärft? - „Das Problem ist die Radikalkehrtwende - daran hat sich nichts geändert“
Habeck kritisiert sich für Kommunikation in der Wärmewende
Das scheint Habeck verstanden zu haben. Jedenfalls lassen die Worte des Bundeswirtschaftsministers in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ darauf schließen. Dort antwortete der Vizekanzler auf die Frage, was er denn falsch gemacht habe in der Debatte über das geplante Verbot neuer Öl- und Gasheizungen:
„Es ist gerade wahnsinnig viel Bewegung. Mehr Windräder, mehr Solaranlagen, ein Ende des fossilen Verbrenners, die Transformation der Industrie. In jedem Bereich unserer Volkswirtschaft ändern wir gerade strukturell Grundlegendes, und das spüren die Menschen. Und dann kommen die Regeln für die Heizungen obendrauf, die eben voll ins Private reinwirken. Das alles ist notwendig und die Zeit drängt. Aber es löst Verunsicherung aus. Da hätten wir das Vorhaben von Anfang besser erklären müssen. Es kommt ja niemand bei den Menschen ins Haus und reißt eine funktionierende Heizung raus. Wir hätten das Ganze als gemeinsame Umsetzungsgeschichte erzählen müssen, nicht als die einer staatlichen Regulierung.“
Eine treffende Selbst-Analyse. Doch warum erst jetzt? Warum hat Habeck, wenn schon nicht im Vorfeld erklärend, so doch wenigstens unmittelbar nach Bekanntwerden des Entwurfs reagiert, statt die Meldung über viele Tage vor sich hin köcheln zu lassen, bis sie schließlich überschwappte? Er ist doch ein Mann der Worte. Einer, der Sprache einzusetzen vermag. Doktor der Philsophie.
Öl- und Gasheizungen schlecht fürs Klima, aber weit verbreitet
In der Tonalität erinnert das aktuelle „Zeit“-Interview jenem aus dem April 2021, in dem Habeck an gleicher Stelle, seine „bittersüße“ Gefühlswelt kurz nach dem Zur-Seite-Treten für Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen offenbarte. Resignation und Selbstmitleid, beides aber mitunter forsch vorgetragen, schwingen bei Habeck immer mit.
Wählerinnen und Wähler wünschen sich von Politikern vor allem eines: Probleme wegschaffen, Konflikte lösen. Der große Konflikt der Wärmewende in einem Satz: Öl- und Gasheizungen sind schlecht fürs Klima, aber 75 Prozent der deutschen Haushalte haben eine im Keller.
Suggeriert man ihnen nun, dass wie in dem von Habeck beschriebenen Bild, bald jemand kommt, um sie herauszureißen, darf man nicht erwarten, dass demjenigen der Weg nach unten mit Rosenblättern ausgelegt, sondern eher die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. So weit wird es aber nicht kommen, glaubt man Habeck.
Konflikt um Heizungen maximal auf Eis
Ist die Kuh damit komplett vom Eis? Mitnichten!
Denn in dem 16-seitigen Papier, das die Koalitionäre in ihrer 30-Stunden-Sitzung produziert haben, steht vergleichsweise wenig über die Heizproblematik und das Wenige ist auch noch ziemlich vage formuliert. Man darf also sehr auf das Gesetz, das bis zum Sommer durch den Bundestag sein soll, gespannt sein.
Was drin steht, lautet so: Ab 1. Januar 2024 soll „möglichst“ jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Dabei solle darauf geachtet werden, dass ein technologieoffener Ansatz verfolgt werde und dass ausreichende Übergangszeiträume zur Verfügung stünden.
Ist das nun eine Pflicht zum Einbau klimafreundlicherer Heizungen oder nicht? Was bedeutet in diesem Zusammenhang „möglichst“? Der vor einigen Wochen geleakte Gesetzentwurf hatte vorgesehen, dass jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll, was einem De-Facto-Verbot neuer Öl- und Gasheizungen gleichgekommen wäre.
Habeck muss sagen, was jetzt genau Sache ist
Von Habeck hat man dazu nichts gehört. Wieder lässt der eloquente Minister eine Gelegenheit liegen, endlich für Klarheit zu sorgen. Bewusst oder unbewusst, ist unklar. Ebenso wie beispielsweise neu eingebaute Gasheizungen mit 65 Prozent erneuerbarer Energien genau betrieben werden sollen. In Anbetracht dessen, dass blauer oder gar grüner Wasserstoff jetzt nicht gerade in rauen Mengen verfügbar ist.
Es sind also noch Fragen offen und der Heizkonflikt ist auf Wiedervorlage in ein paar Wochen gelegt. Es wäre schön, wenn Habeck die Zeit nutzte, um genau das zu tun, wofür er sich im „Zeit“-Interview selbst kritisierte: Das Vorhaben von Anfang besser erklären!
Tut er es nicht, braucht er sich nicht zu wundern, wenn er zwar 2025 als Kanzlerkandidat der Grünen antreten darf, aber sich die Wählerinnen und Wähler bis dato von ihm abgewandt haben. Denn was nutzt es, das Klima zu retten, wenn darüber die Gesellschaft kaputt geht. Was es jetzt braucht, ist Empathie für die Menschen, man könnte auch sagen Wärme ohne Pumpe, statt berechtigte Einwände und Sorgen abzukanzeln.
Oder um es mit einem Philosophen-Kollegen von Robert Habeck zu sagen: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.“ (Seneca)