Thursday, March 2, 2023

Franziska Giffey: Die Giffey-Wende

ZEIT ONLINE Franziska Giffey: Die Giffey-Wende Artikel von Katharina Schuler, Michael Schlieben • Vor 18 Std. Franziska Giffey hat überrascht: Freiwillig verzichtet sie auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin. Sie geht damit voll ins Risiko, auch für sich selbst. Franziska Giffey macht an diesem Abend den Eindruck einer Frau, die mit sich im Reinen ist. Im dunkelbauen Kostüm steht sie an einem roten Stehtisch im schmucklosen Vorraum der Berliner Landeszentrale, die blonden Haare akkurat hochgesteckt wie immer, und lauscht aufmerksam den Worten ihres Co-Vorsitzenden Raed Saleh. Natürlich, sagt der, habe man sehr intensive, sehr lange Debatten geführt gerade eben im Landesvorstand. Am Ende allerdings habe ein Ergebnis gestanden: Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit hat sich das Gremium für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU ausgesprochen. Was Saleh da verkündet, ist nicht weniger als eine kleine Sensation: Der traditionell als links geltende Berliner Landesverband will sich also tatsächlich zum Juniorpartner der CDU machen. Freiwillig in gewisser Weise. Denn das rot-rot-grüne Bündnis, mit dem man bisher regiert hat, hat auch nach der Berlin-Wahl vor zwei Wochen immer noch eine Mehrheit. Eine größere sogar, als es eine künftige schwarz-rote Koaltion haben wird. "Ich mache das für Berlin und die SPD", versichert Giffey , als sie schließlich auch das Wort ergreift. Es ist ein Schritt, mit dem wohl noch am Wahlabend niemand ernsthaft gerechnet hatte. Grundsätzlich galt Giffey zwar schon in ihrem ersten Wahlkampf als Politikerin, die mit der damals bereits regierenden rot-rot-grünen Koalition fremdelte und sich nach konservativen Partnern sehnte. Im Wahlkampf hatte sie eine Koalitionsaussage sorgsam vermieden. Doch Grundvoraussetzung für einen Wechsel ihrer Regierungspartner schien dabei zu sein, dass sie selbst Regierende bleiben würde. Ein schwarz-rotes Bündnis schien nur denkbar für den Fall, dass die SPD vor der CDU landen würde. Machterhalt um jeden Preis? In den vergangenen zwei Woche hat bei Giffey dann allerdings offenbar ein Umdenken eingesetzt. Bereits am Wahlabend verkündete sie, es sei klar, dass es in der Berliner Politik nicht so weitergehen dürfe wie bisher. Dafür sei das Wahlergebnis, das ihrem CDU-Konkurrenten Kai Wegner einen Vorsprung von zehn Prozentpunkten beschert hatte, ein zu deutliches Signal gewesen. Doch wie sollte sie diesen Wechsel glaubhaft verkörpern, wenn sie zugleich mit derselben Koalition weiterregieren würde wie bisher? Würde der SPD nicht fortan der Ruf anhaften, es gehe ihr um Machterhalt um jeden Preis? Irgendwann in den letzten Tagen muss bei Franziska Giffey die Einsicht gereift sein, dass ihr der freiwillige Machtverzicht als noble Geste mehr Ansehen einbringen und auch ihre künftige Karriere weniger verbauen werde als ein Beharren auf den Spitzenposten. "Ich klebe nicht an meinem Amt", verkündete sie in ZEIT ONLINE und anderen Interviews. Am Mittwochabend lieferte sie dafür nun den Beleg. "Respekt, Verantwortung und Vorankommen", das seien für sie die entscheidenden Kriterien gewesen, sagte sie. Gemeint ist damit auch der Respekt vor dem Wahlergebnis, bei dem die regierende Koalition 250.000 Stimmen verloren hatte, wie Giffey vorrechnet. Verwandtes Video: Machtwechsel in Berlin? Giffey will schwarz-rote Koalition (ProSieben) Dass Giffey und die SPD diese Entscheidung so treffen, hat aber auch damit zu tun, dass die Atmosphäre mit der CDU sich wohl als weit angenehmer herausgestellt hat als zunächst erwartet. Und dass die CDU überaus kompromissbereit war. So hat die CDU sich wohl auf den SPD-Plan eines 29-Euro-Tickets eingelassen, eines von Giffeys Prestigeprojekten im Wahlkampf. Anderes, was der SPD wichtig war und was die CDU im Wahlkampf eigentlich noch abschaffen wollte – das Landesantidiskriminierungsgesetz beispielsweise oder der Landesmindestlohn – soll nun doch bleiben Einig gegen Enteignungen Bei anderen Themen lagen sich Union und SPD aber ohnehin näher als die SPD und ihre bisherigen Koalitionspartner. Das gilt vor allem für den Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften, dem rund zwei Drittel der Berliner vor anderthalb Jahren zugestimmt hatten, den Giffey allerdings ebenso wie die CDU nie wirklich umsetzen wollte. Nun soll stattdessen ein weit weniger weitreichendes "Vergesellschaftungsrahmengesetz" erarbeitet werden. Auch mit der von den Grünen massiv voran getriebenen Verkehrswende fremdelte die SPD unter Giffey. Die Zurückdrängung von Autos aus der Stadt missfiel auch einem Teil der SPD-Klientel. Mit der CDU will man nun für eine Verkehrspolitik durchsetzen, die "stärker als bislang der Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmer" sucht, wie es im SPD-Sondierungsbericht heißt. Verabredet wurde außerdem eine umfassende Verwaltungsreform. Ob Giffey damit wirklich die ganze Partei überzeugt? Widerstand hatten am Mittwoch zum Beispiel die Jusos formuliert. "Wir werden uns jeder Bestrebung, eine Koalition mit der CDU zu bilden, entgegenstellen", teilte der Berliner Juso-Chefin Sinem Taşan-Funke mit. Wer gegen migrantisierte Gruppen hetze, gegen bezahlbaren Wohnraum sei und die Verkehrswende belächle, disqualifiziere sich als Koalitionspartner für die Sozialdemokratie. Auch aus dem Kreisverband Friedrichshain Kreuzberg äußerten sich Stimmen strikt ablehnend. "Für uns ist klar, dass Schnittmengen der Wahlprogramme am größten mit Grünen und Linken sind, damit wir weiterhin eine progressive Politik für Berlin fortführen, die auf die Zukunft ausgerichtet ist", heißt es in einer Stellungnahme. Und der Kreischef von Tempelhof-Schöneberg, Lars Rauchfuß, sagte dem rbb: "Die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU ist für die SPD Berlin und vor allem für unsere Stadt die falsche Entscheidung. Wie auch die Jusos und weite Teile der SPD sehe ich kaum Schnittmengen mit einer CDU, die die Stadt spaltet, gegen bezahlbaren Wohnraum ist und wenig gegen soziale Ungerechtigkeit und Armut unternimmt." Am Ende sollen nun die Berliner SPD-Mitglieder über das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen abstimmen. Damit wolle man eine größtmögliche demokratische Beteiligung erreichen, betonten Giffey und Saleh. Ein Hintergedanke dabei dürfte allerdings auch sein: Wenn erstmal ein ausgehandelter Koalitionsvertrag vorliegt, ist eine Ablehnung durch ein Mitgliedervotum eher unwahrscheinlich. Ein Parteitag, auf dem viele als links geltende Funktionäre anwesend wären, hätte der Parteiführung da möglicherweise gefährlicher werden können. Trotzdem wird Giffey in den nächsten Wochen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wie das geschehen soll, darauf gibt das Sondierungspapier einen Vorgeschmack. Vor allem die Grünen sollen demnach Schuld sein am Scheitern einer Neuauflage des bisherigen Regierungsbündnisses sein. Diese hätten Ziele des bisherigen Koalitionsvertrages relativieren wollen, heißt es in dem Papier. Auch der konservative Seeheimer Kreis der Bundestagsfraktion beklagte in einem Schreiben an die lieben Genossinnen und Genossen ausgiebig das angeblich hartherzige Verhalten der Grünen. Diese hätten versucht, den Preis hochzutreiben und "sind uns bei SPD-Projekten kein Stück entgegen gekommen", heißt es darin. Außerdem hätten die Grünen die Richtlinienkompetenz der Regierenden Bürgermeisterin schwächen wollen. Warum es besser sein soll, deswegen gleich ganz auf diese zu verzichten, lässt das Schreiben allerdings offen. Auch über die Linken wird ausführlich geklagt: Diese seien instabil und könnten nicht zusichern, die Koalition weitere drei Jahre mitzutragen. Dass die Berliner Linken fast zwölf Prozent holten und sich in den vergangenen Jahren als sehr verlässlicher Koalitionspartner erwiesen hatte, bleibt dagegen unerwähnt. Im Bund reagiert man schmallippig Mit dem Manöver der Berliner SPD abgefunden hat man sich aber offenbar auch auf Bundesebene.Die Entscheidung sei Sache der Berliner, sagt etwa die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Katja Mast. Ein prominentes linkes Mitglied der Fraktion, das namentlich nicht genannt werden will, findet ebenfalls: "Das entscheidet die SPD in Berlin". Die Parteispitze selbst dürfte das ähnlich sehen, will sich aber vorerst nicht äußern. Man darf wohl davon ausgehen, dass die in der SPD-Spitze gut verdrahtete Giffey sich vorher deren Plazet geholt hat. Auf erheblichen Widerstand scheint sie nicht gestoßen zu sein, und das, obwohl ihre Entscheidung auch Auswirkungen für den Bund haben kann: Denn mit einer schwarz-roten Koalition in Berlin ist die Hoffnung für die Ampel, im Bundesrat eine Mehrheit zu erringen, vorerst dahin. Das verschafft der CDU weiterhin Einfluss auf die Regierungspolitik im Bund. Allerdings, darauf weist Mast hin, hat auch die bisherige rot-rot-grüne Koalition Regierungsvorhaben im Bund nicht automatisch mitgetragen. Zumindest in den konservativen Teilen der Bundes-SPD hoffen wohl viele, dass Giffeys Entscheidung sich für die Partei auszahlen wird. Durch Giffeys freiwilligem Rückzug stünden die Chancen für die SPD besser, bei der Landtagswahl 2026 noch bei zehn Prozent zu landen, heißt es in dem Schreiben der Seeheimer. Es ist eine Hoffnung, der auf Giffey selbst am Mittwochabend Ausdruck verleiht. Sie denke über den Augenblick hinaus, sagte Giffey: "Ich bin überzeugt, dass die SPD so zu neuer Kraft kommen kann." Giffeys Rückzug auf Platz zwei ist ihre Wette auf eine bessere Zukunft für ihre Partei und sich selbst. Ob sie sie gewinnen wird, wird sich dann in drei Jahren zeigen.