Sunday, November 28, 2021
Goldschakale haben sich vermutlich von Südosteuropa aus in Richtung Deutschland verbreitet
Goldschakale haben sich vermutlich von Südosteuropa aus in Richtung Deutschland verbreitet.
SZ.de
Arten: Auf sehr leisen Pfoten
Von Thomas Krumenacker - Vor 6 Std.
Deutschland hat eine neue Tierart: Erstmals konnte die Fortpflanzung von Goldschakalen nachgewiesen werden. Gehäufte Beobachtungen in den vergangenen Jahren hatten darauf hingedeutet.
Auf sehr leisen Pfoten
Viele halten ihn für einen kleinen Wolf, andere für einen groß geratenen Fuchs. Der Goldschakal ähnelt auf den ersten Blick beiden Tierarten frappierend. Färbung und Gestalt gleichen denen von Wölfen. Seine Größe mit einer Schulterhöhe von meist unter 50 Zentimetern liegt viel näher beim Fuchs, genauso wie sein Gewicht von etwa 15 Kilogramm. Biologisch gehört der Goldschakal aber wie der Wolf zur Familie der Hunde (Canidae). Diese Wahrscheinlichkeit zur Verwechslung dürfte neben seiner äußerst diskreten Lebensweise maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Goldschakal Deutschland seit einigen Jahren still, leise und so gut wie unbemerkt neu besiedelt. Nun aber konnten Biologen in Baden-Württemberg zum ersten Mal sicher eine Fortpflanzung des Goldschakals hierzulande nachweisen. Und sie glauben, dass in wenigen Monaten weiterer Nachwuchs ansteht.
Ende Oktober tappten im Schwarzwald-Baar-Kreis zwei Goldschakale in eine Fotofalle, die Biologen dort im Rahmen des Luchs- und Wolfsmonitorings aufgestellt hatten. Dann fügte sich das Puzzle rasch zusammen: Bei einer gezielten Suchaktion in der Umgebung fanden Experten der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg mehrere Kothaufen, aus denen sie molekulargenetisch verwertbare Proben entnehmen konnten. Die Analyse ergab, dass die beiden Tiere zu einer Familiengruppe gehören.
Ebenfalls per Genprobe aus einem Kothaufen konnte am Frankfurter Senckenberg-Institut ein drittes Tier nachgewiesen werden: ein Rüde, der als Vater eines oder mehrerer der anderen Schakale in Frage kommt. Schließlich gelang auch noch das Foto eines Goldschakal-Welpen, der im Frühjahr dieses Jahres geboren worden sein muss: Knapp ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Nachweis eines Goldschakals in Deutschland ist damit die Fortpflanzung des Beutegreifers auch hierzulande bewiesen.
Goldschakale leben wie Wölfe in Familiengruppen, die in der Regel aus dem Elternpaar und dessen Nachkommen bestehen. "Es ist deshalb davon auszugehen, dass das im Schwarzwald-Baar-Kreis nachgewiesene Paar im Frühjahr selbst Nachwuchs erwartet", teilte das baden-württembergische Umweltministerium mit.
Bis Dänemark haben es die Tiere von Südosteuropa aus schon geschafft
Die Besiedelung Deutschlands durch die Schakale unterscheidet sich von der anderer Tierarten: Der Wolf war seit jeher hierzulande heimisch und vollzieht gerade nach seiner Ausrottung eine natürliche Wiederbesiedlung. Andere Arten wie Marderhund, Nandu oder Waschbär dagegen sind sogenannte "gebietsfremde neue Arten", die durch den Menschen eingeschleppt wurden und sich danach in der Freiheit ausgebreitet haben. Goldschakale dagegen waren zwar bisher hierzulande auch nicht heimisch, ihre Ausbreitung findet aber ohne menschliche Unterstützung statt - als Neubesiedlung.
Für Experten wie Jörg Tillmann kommt die Nachricht von der Neubesiedlung Deutschlands durch Goldschakale nicht überraschend. "Nach den Entwicklungen in den vergangenen Jahren zeichnete sich ab, dass es früher oder später zu einem Reproduktionsnachweis kommen würde", sagt der Wildtierökologe der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, der sich eingehend mit dem Vormarsch des Goldschakals beschäftigt hat.
In den vergangenen Jahrzehnten unternahm der Goldschakal nämlich immer wieder Ausbreitungsversuche nach Norden und Westen aus seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet. Das reicht von Südostasien über den Nahen Osten bis nach Südosteuropa. Die Deutschland am nächsten traditionellen Vorkommen finden sich in Ungarn. In den vergangenen Jahren wurden Schakale auch in der Schweiz, Dänemark und den Niederlanden nachgewiesen.
"Undercover" sind wohl schon viel mehr Schakale da
Für Deutschland hat Tillmann alle bisherigen sicheren Nachweise zusammengetragen. Daraus ergibt sich ein klares Muster einer Besiedlung mit zunehmender Geschwindigkeit: Im Juli 1997 schoss ein Jäger in einem ehemaligen Tagebaugebiet in Brandenburg einen vermeintlichen Hund, der sich als erster deutscher Goldschakal erwies. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis 2007 ein weiteres Tier in Deutschland in eine Fotofalle lief, ebenfalls in Brandenburg. Danach verkürzte sich der Abstand der Nachweise rasch, und seit 2014 werden alljährlich durch Fotos oder genetische Nachweise abgesicherte Beobachtungen registriert.
Mittlerweile vermeldeten schon zehn Bundesländer Schakalnachweise. 2019 waren es gleich fünf innerhalb weniger Monate. Weil Goldschakale äußerst scheu sind und meist nur nachtaktiv, dürften die gesicherten Nachweise nur einen sehr kleinen Einblick in die tatsächliche Anwesenheit der Tiere geben. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie undercover in einem weit größeren Umfang schon hier vertreten sind, als wir glauben", sagt Tillmann.
Die jetzt belegte Fortpflanzung in Baden-Württemberg könnte seiner Einschätzung nach den Auftakt zu einer weiteren Ausbreitung auch in anderen Teilen Deutschlands bilden. Die ökologischen Voraussetzungen dafür seien gut: Die moderne Agrarlandschaft mit vielen dicht bewachsenen Feldern biete ebenso wie die vielen Wälder ausreichend Versteckmöglichkeiten für die scheuen nachtaktiven Jäger. Und die milden Winter förderten die Überlebensrate der wärmeliebenden Tierart.
Auch Nahrung ist für den wenig anspruchsvollen Allesfresser reichlich vorhanden. Menschliche Verfolgung dürfte ebenfalls kein Hindernis für eine Besiedlung Deutschlands sein. Die europäische FFH-Richtlinie führt Goldschakale als schützenswerte Art, für die ein "günstiger Erhaltungszustand" sichergestellt werden müsse. In Deutschland sind Goldschakale auch in keinem der Jagdgesetze als jagdbare Arten eingestuft.
Welchen Einfluss der Neubürger auf die Ökosysteme hierzulande hat, ist allerdings noch unklar. "Bislang ist der Einfluss verschwindend gering, aber mit einer möglichen Ausbreitung sollte das genau analysiert werden", sagt Tillmann. Die weitere Ausbreitung könne über die bestehenden Programme zum Monitoring von Wolf, Luchs und Wildkatze gut dokumentiert werden, Besenderungen von Einzeltieren könnten Aufschlüsse über die Raumnutzung liefern. Den genauen Aufenthaltsort einzelner Tiere zu kennen, könnte auch helfen, Nahrungsreste zu finden und so die Auswirkungen des Neubürgers auf seine Umwelt zu analysieren.
Zur bekannten Hauptbeute gehören Tiere wie Kleinsäuger, Vögel und deren Gelege oder Insekten. Als Allesfresser verzehrt er aber auch gerne Beeren und andere Früchte. Größere Tiere wie junge Rehe stehen eher selten auf dem Speisezettel, Nutztiere wie Schafe nur in Ausnahmefällen. Auch deshalb rechnet Tillmann im Zuge der weiteren Ausbreitung der Schakale hierzulande nicht mit einer ähnlich emotional geführten Debatte wie beim Wolf. "Dazu ist er zu harmlos."