Saturday, April 26, 2025
Früherer China-Botschafter Schaefer: „China braucht Europa, Europa braucht China“
Frankfurter Rundschau
Früherer China-Botschafter Schaefer: „China braucht Europa, Europa braucht China“
Uli Kreikebaum • 20 Std. • 7 Minuten Lesezeit
Eine Schiffsladung wird in der chinesischen Stadt Qingdao gelöscht.
Michael Schaefer, der frühere deutsche Botschafter in China, über Trumps Zollpolitik und die Chancen des alten Kontinents, ein wichtiger Machtfaktor zu werden.
Ein Interview von Uli Kreikebaum
Zölle rauf, Zölle runter, US-Präsident Donald Trump fährt die Weltwirtschaft derzeit vor die Wand. Was das aus der Sicht Chinas bedeutet, weiß kaum einer besser als der deutsche Diplomat Michael Schaefer.
Herr Schaefer, die USA haben Einfuhrzölle für Waren aus China von bis zu 145 Prozent erhoben, Donald Trump will so den Aufstieg Chinas zur größten Wirtschaftsmacht stoppen. Wie nehmen Sie die Auswüchse der amerikanischen Zollpolitik wahr?
Das Auf und Ab von Drohungen, Zöllen und Rücknahmen ist charakteristisch für Trumps erratische Politik. Er möchte seinen MAGA-Anhängern (Make America Great Again, die Red.) beweisen, dass er durch Druck für Amerika günstige Ergebnisse erzielen kann. Dabei spielt es für ihn keine Rolle, ob es sich um Partner oder Gegner handelt. Global ist dies Teil einer dramatischen geopolitischen Transformation. Sie hat sich schon seit Jahren angedeutet, aber wir Europäer haben sie nie wirklich ernst genommen.
Viele haben nach dem Zerfall der Sowjetunion geglaubt, dass sich die bipolare Welt in eine multipolare Welt mit verschiedenen Kraft- und Machtzentren entwickelt. Tatsächlich leben wir aber immer noch in einer bipolaren Welt: USA und China, das die Sowjetunion ersetzt hat, agieren als Großmächte auf einer Ebene und stehen in einem unmittelbaren Machtkonflikt. Alle anderen Mächte haben eher regionale Bedeutung – das gilt für Europa, für Russland, für die größeren aufstrebenden Mächte des globalen Südens wie Indien, Brasilien oder Mexiko. In den USA gibt es einen parteiübergreifenden Konsens, dass China der Hauptgegner ist.
Warum sagen Sie „noch“, wenn Sie von zwei Supermächten sprechen?
Mittelfristig, das heißt in 20 oder 30 Jahren, werden wir voraussichtlich eine multipolare Welt erleben. Dann werden Länder wie Indien oder Brasilien im Konzert der Großen mitspielen – auch Europa könnte das. Ob Europa allerdings geopolitisch eine Rolle spielt, wird davon abhängen, ob und wie wir uns neu erfinden können.
Europa hat mit den lateinamerikanischen Staaten das Wirtschaftsabkommen Mercosur über eine der größten Freihandelszonen der Welt abgeschlossen. Experten werten das als wichtigen Schritt. Hat Europa hier zu lange geschlafen und China gewähren lassen?
China kann sich dank seines repressiven innenpolitischen Ein-Parteien-Systems schneller auf globale Veränderungen einstellen als demokratische Länder. Es ist gleichzeitig eine strategisch denkende und handelnde Macht und hat seinen Prozess der Diversifizierung der Handelsbeziehungen schon begonnen, als Europa noch nicht einmal darüber nachgedacht hat. Wir Europäer folgen noch zu oft nationalen Interessen und sind deshalb unfähig, zu schnellen und guten Ergebnissen zu kommen. Mercosur ist ein gutes Beispiel: Das wird seit 20 Jahren verhandelt. Am Ende ist es immer wieder gescheitert – zum Beispiel am Veto der italienischen oder französischen Landwirte oder anderen einzelstaatlichen Interessen.
Für viele Länder der Erde ist Europa als Handelspartner wegen seiner freiheitlichen Verfassungen attraktiv. Welche Chancen sehen Sie für Europa im Wettbewerb mit autokratischen Ländern wie China und Demokratien, die sich wie Autokratien gebärden, wie die USA?
Europa ist das beste Beispiel für gelungene regionale Integration zwischen Staaten, die über Jahrhunderte zerstritten waren. Aufbauend auf einer gemeinsamen Wertebasis und dem Ausgleich nationaler Interessen wurde eine gemeinsame Politik entwickelt, die uns Sicherheit und Wohlstand gebracht hat. Das wird von vielen Ländern in der Welt bewundert. Außerdem gilt Europa global immer noch als ehrlicher „Broker“, ein Vorteil gegenüber „America First“ und „China First“.
Zudem ist die EU auch ein starker Wirtschaftsmarkt …
…insgesamt sogar der größte weltweit. Nur nutzen wir diese wirtschaftliche Kraft selten effizient, weil wir nationalen Interessen Vorrang einräumen. Zudem erfordert geopolitische Macht immer auch eine sicherheitspolitische Stärke. Hier hat Europa das größte Defizit, da wir uns jahrzehntelang auf den amerikanischen Schutz verlassen haben. Wir haben es versäumt, eine europäische Sicherheitsstrategie zu entwickeln, es fehlt uns am Verteidigungswillen und eigenen Verteidigungsfähigkeiten. Jetzt, wo sich ein amerikanischer Präsident aus der Verantwortung der transatlantischen Allianz zurückzieht, wachen die Europäer erschrocken auf und stellen fest, dass sie ihre eigene Sicherheit nicht gewährleisten können.
Das weiß auch Wladimir Putin. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass er seine imperialistische Politik vorantreibt, solange Europa nur bedingt abwehrbereit ist?
Ich schätze sie als sehr hoch ein. Putin geht es um die Wiederherstellung des großrussischen Reichs. Zum anderen will er das System liberaler Demokratien zerstören oder zumindest stark schwächen. Beide Ziele wird er nicht aufgeben. Ich bin manchmal überrascht, dass viele immer noch nicht begreifen, dass dieser Krieg auf die liberalen Demokratien als Ganzes zielt – es geht Putin um eine neue Weltordnung. Der russische Präsident hat die europäische Sicherheitsarchitektur, die im Kalten Krieg in Abstimmung mit der Sowjetunion geschaffen wurde, zerstört. Er wird weiter gehen, scheint aber militärisch momentan nicht imstande, Europa anzugreifen. Es wird vorerst wohl bei Nadelstichen und hybriden Aktionen bleiben.
Welche Rolle spielt China als Partner Russlands und doch Außenstehender im Ukraine-Krieg?
China ist der große Profiteur der Entwicklung. Durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland die Amerikaner in Europa gebunden; das hält Washington davon ab, sich auf den eigentlichen Gegner China zu fokussieren. Peking unterstützt Moskau allerdings nur passiv durch eine Sowohl-als-auch-Politik: es liefert „dual use“-Güter, die zivil wie militärisch nutzbar sind, achtet aber darauf, sich nicht zum militärischen Partner Russlands zu machen. Bei allen gegen Moskau gerichteten UN-Resolutionen hat China sich wie Brasilien, Indien, Mexiko oder Südafrika enthalten. Peking hat es so verstanden, sich politisch auf die Seite des Globalen Südens zu stellen – und dadurch an Kredit gewonnen. Trumps protektionistisch-nationalistische Politik ist eine Steilvorlage für Peking, um den globalen Süden zu gewinnen. Ein Beispiel war Xi Jinpings Auftritt in Davos, als er nach Trumps Absage an den Multilateralismus und die Globalisierung bekräftigte, dass Peking sich als Verteidiger des multilateralen Wirtschaftssystems und der Globalisierung sieht.
China hatte auch angeboten, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln.
Zusammen mit Brasilien und anderen Brics-Staaten. Darauf ist niemand eingegangen, vor allem die USA nicht. Trump ist mit dem Ziel als US-Präsidentschaftskandidat angetreten, die internationalen Konflikte zu beenden. Er will unbedingt den Friedensnobelpreis gewinnen. Für die USA kommt China als Vermittler aus geopolitischen Interessen nicht infrage.
Von seinem Ziel, den Friedensnobelpreis zu bekommen, dürfte Trump weit entfernt sein.
Er entfernt sich immer weiter davon. An allen Fronten. Seine vollmundigen Vorhersagen, den Krieg in der Ukraine und den in Gaza schnell zu beenden, erscheinen unrealistischer denn je.
Sie haben dem Westen oft vorgeworfen, naiv mit China umzugehen. Weil die verantwortlichen Politiker nicht auf die Kultur des Landes achten?
Wenn man länger in China gelebt hat, begreift man, dass eine Gesellschaft, die in 4000 Jahren nur eine Top-down-Herrschaft erlebt hat, sich davon nicht so einfach lösen kann – der Herrscher wird in einem traditionell autokratischen System so lange akzeptiert, wie er als benevolenter Diktator angesehen wird. Das ist Teil des tief verankerten konfuzianischen Denkens. In den meisten westlichen Ländern gab es dagegen seit Deng Xiaopings Politik der Reform und Öffnung die Überzeugung: Wenn China sich wirtschaftlich öffnet, dann passiert etwas Ähnliches wie in Osteuropa: politischer Wandel durch Handel. Das war ein Trugschluss. China hat sich in den vergangenen 30 Jahren wirtschaftlich signifikant entwickelt: weg vom Billigproduktions- und hin zum Innovationsland. Politisch aber hat sich nichts geändert. Im Gegenteil.
Die deutsche Politik hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem den Schulterschluss mit Chinas Wirtschaft gesucht, Kanzlerin Merkel hat Menschenrechtsverletzungen eher leise angesprochen, die grüne Außenministerin Annalena Baerbock deutlich lauter – sie hat Xi Jinping offen als Diktator bezeichnet. Wie schauen Sie auf eine Politik, die versucht, einerseits Handel zu betreiben und andererseits die Verletzung von Menschenrechten in China nicht außer Acht zu lassen?
Angela Merkel hat in all ihren Gesprächen in China das Thema Menschenrechte angesprochen. Aber sie hat das im vertraulichen Rahmen und nicht vor laufenden Mikrophonen getan. Das hat ihr Kritik eingebracht, war aber durchaus erfolgreich, denn wir haben auf diese Weise zahlreiche Menschenrechtsfälle diskret lösen können. Wichtig ist es, nicht permanent verbal aufzurüsten, dann aber nichts zu tun, wenn die andere Seite unsere roten Linien überschreitet. Solche roten Linien gibt es zum Beispiel in der Menschenrechtspolitik, bei der Behinderung von Schifffahrtswegen im südchinesischen Meer oder bei Chinas Taiwan-Politik. Es braucht klare rote Linien und eine glaubwürdige Reaktion bei deren Überschreiten – aber ansonsten eine Konzentration auf gemeinsame Interessen. Laut zu reden und nicht zu handeln, das ist nicht zielführend.
China hat derzeit genug innenpolitische Probleme: Das Wirtschaftswachstum geht zurück, die Arbeitslosigkeit steigt.
China hat schon seit längerem Schwierigkeiten, den informellen Gesellschaftsvertrag – Akzeptanz der Entscheidungen der politischen Führung gegen Partizipation am wachsenden Wohlstand – zu erfüllen. Als man 2010 erkannte, dass das Binnenwachstum nicht ausreicht, um genügend Wachstum zu generieren, hat Peking die Strategie der neuen Seidenstraße entwickelt: zwei Korridore, eine Landbrücke über Zentralasien nach Europa und ein Seeweg über Afrika nach Europa, sollten neue Märkte und Arbeitsplätze schaffen. So wollte man das Defizit sinkender Binnenproduktion auffangen. Das ist teilweise gelungen, teilweise nicht. China hat bei der Umsetzung dieser Strategie viele Fehler gemacht. Das hat Vertrauen gekostet und Misstrauen erhöht. Die Mehrzahl der Länder des Globalen Südens will sich weder vor den amerikanischen noch vor den chinesischen Karren spannen lassen.
Eine Chance für Europa, zumal Trump mit seiner Welt- und Zollpolitik nicht nur China täglich provoziert und Vertrauen verspielt, oder?
Definitiv. Auf die maßlosen Zölle der USA haben die Chinesen hart, aber besonnen reagiert. Gleichzeitig nehmen die kooperativen Signale aus Peking in Richtung Europa zu. Das kann nicht überraschen, denn China braucht Europa ebenso wie Europa China: als Markt, aber auch als Partner bei der Lösung globaler Probleme wie dem Klimawandel. Das ist eine Chance für Europa. Es muss seine eigenen Interessen und Werte klar identifizieren und mit Selbstbewusstsein und Augenmaß in Verhandlungen einbringen, sowohl gegenüber Washington als auch gegenüber Peking. Dabei geht es nicht um Äquidistanz. Aber in der gegenwärtigen Situation ist Europa der wichtigste Verteidiger der liberalen Demokratie in der Welt.