Sozialversicherung werden Milliarden-Beträge vorenthalten: Wo bitte sind die Gewerkschaften?

FR Sozialversicherung werden Milliarden-Beträge vorenthalten: Wo bitte sind die Gewerkschaften? Martin Staiger • 3 Std. • 2 Minuten Lesezeit Drei Effekte verstärken den Schaden Die Schwächung der Sozialversicherung hat System. Wo sind die Gewerkschaften, wo die Sozial- und Wohlfahrtsverbände? Eine starke Lobby ist nicht in Sicht. Die Kolumne „Gastwirtschaft“. Wenn Anfang eines Jahres die Sozialversicherungsbeiträge – dieses Jahr insbesondere in der Krankenversicherung – ansteigen, hebt wieder einmal das Geraune über den angeblich unbezahlbaren Sozialstaat an. Bei Lichte betrachtet ist der Sozialstaat jedoch gar nicht unbezahlbar. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag, der sich aus den Beiträgen zur Arbeitslosen-, zur Renten-, zur Kranken- und zur Pflegeversicherung zusammensetzt, könnte deutlich geringer sein, wenn seine Finanzierungsbasis in der Vergangenheit nicht immer weiter beschnitten worden wäre. Begonnen hat die Schwächung der Sozialversicherung mit den bereits in den 1970er Jahren eingeführten Minijobs, die dann mit „Hartz II“ ab 2003 einen starken Aufschwung erlebt haben. Ebenfalls seit 2003 gibt es „Midijobs“, für die in einer im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnten Einkommensspanne von inzwischen 556,01 bis 2.000 ebenfalls nur ermäßigte Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Sehr viel Geld entgeht der Sozialversicherung außerdem dadurch, dass als „Entgeltumwandlung“ bezeichnete Zahlungen aus Arbeitnehmereinkommen in betriebliche Altersvorsorgeverträge von Sozialversicherungsbeiträgen befreit sind – dass diese Regelung ursprünglich einmal befristet wurde, interessiert heute niemand mehr. Sozialversicherung ist ein vermutlich zweistelliger Milliardenbetrag entgangen Weitere Probleme ergeben sich aus den im Verhältnis zu den Behandlungskosten viel zu geringen Beträgen, die der Fiskus für Bürgergeldbezieher:innen an die Krankenkassen abführt, und jüngst aus der nicht mit Sozialversicherungsbeiträgen belegten Inflationsausgleichsprämie, durch die der Sozialversicherung ein vermutlich zweistelliger Milliardenbetrag entgangen ist. Es zeigen sich drei Effekte, die sich gegenseitig verstärken: Die Finanzierungsbasis der Sozialversicherung wird geschwächt, die Sozialversicherungsbeiträge steigen und die Legitimation der Sozialversicherung sinkt – mit der Folge, dass sich ihre weitere Schwächung leichter durchsetzen lässt. Eine starke Lobby für die Sozialversicherung ist jedoch nicht in Sicht. Da eine große Mehrheit der Bevölkerung von einer starken Sozialversicherung profitiert, ist das, gelinde gesagt, merkwürdig. Wo sind die Gewerkschaften, wo sind die Sozial- und Wohlfahrtsverbände? Der Autor ist Experte für Sozialrecht.