Tuesday, December 3, 2024

Wirtschaftsminister in Kenia: Die deutsche Misere fliegt immer mit

Wirtschaftswoche Wirtschaftsminister in Kenia: Die deutsche Misere fliegt immer mit Haerder, Max • 13 Std. • 5 Minuten Lesezeit Robert Habeck wandelt in Kenia zwischen Ministerpflicht und Kanzlerkandidatenkür. Unterwegs mit einem Mann, der die Hoffnung auf sich selbst nicht aufgeben will. Sollte Robert Habeck bereits auf der Suche nach einer Anschlussverwendung sein, müsste er sich hier jetzt schon noch ein bisschen mehr reinknien. „Uuuaah“, ruft der Wirtschaftsminister und wirkt leicht verloren. Aber er erkennt kaum etwas unter dieser weißen Virtual-Reality-Brille, die aussieht wie ein klobiges Ski-Modell. „Uiiaaah.“ Das klingt schon etwas genervter. Habeck dreht und windet sich. Wie um Himmels Willen funktioniert dieses Ding? Er soll eine Schweißnaht setzen, rein virtuell versteht sich, mit einer Art Controller in der Hand, so wie alle hier im Weiterbildungszentrum „Toolkit“ in Nairobi. Aber da kann sich der höfliche kenianische Ausbilder noch so sehr Mühe geben mit seinem Kurzzeit-Lehrling aus dem fernen Deutschland – es wird nicht so richtig was. Vielleicht sollte der Grüne doch besser in der Politik bleiben. Der Kanzler hat bereits am Wochenende voll auf Wahlkampf umgestellt – und dabei nicht nur den „Heißsporn“ Friedrich Merz attackiert, sondern auch ihn, Habeck. „Grüne Brechstange“, das waren Olaf Scholz‘ Worte. Christian Lindner wiederum muss retten, was zu retten ist, damit seine FDP nicht komplett in die politische Konkursmasse abrutscht. Wenn nötig, rüttelt der Liberale dafür auch an den deutschen Klimazielen. Soweit die Lage zuhause. Die Probleme fliegen immer mit Und Habeck, der grüne Vizekanzler und Noch-im-Dienst-Minister? Auch der hat jetzt immer einen Schatten dabei, der eindeutig die Konturen eines Kanzlerkandidaten trägt. Keine drei Monate vor der Bundestagswahl sind diese Rollen nicht mehr voneinander zu trennen. Da kann Habeck auch elf Stunden mit einem Regierungs-Airbus nach Kenia jetten – die deutsche Misere, die heimischen Debatten und Probleme, sie fliegen immer mit ihm. Zwei Tage dauert der Ausflug nach Ostafrika. Je nach Lichteinfall sieht man da entweder noch Habeck, den Minister auf geopolitischer Dauermission, der – wie schon so oft zuvor – die deutsche Wirtschaft durch Reden und Reisen davon überzeugen will, die Globalisierung nicht immer nur in China zu verwirklichen. Oder man schaut eben schon dem grünen Kampagnen-Robert zu, wie er charmant plaudert, Fragen stellt und sich von einer Rangerin auf Englisch die ökologischen Probleme des Lake Naivasha erklären lässt. Neben ihm grasen die Zebras – „und wenn die Nilpferde noch kommen, rufen Sie aber, ja?“ Man könnte es in der kurzen Safari-Mittagspausenidylle einer kenianischen Lodge fast vergessen, aber Ministerpflicht und Kandidatenkür, graue Gegenwart und zweifelhafte Zukunft, Ampel-Bilanz und Kanzler-Projektion – das lässt sich nicht mehr trennen bis zum 23. Februar. Läuft doch... Bis hierhin allerdings, finden sie im Team Habeck, läuft es ziemlich rund. Ein leidenschaftlicher Parteitag liegt hinter ihnen, die Mannschaft steht, und Scholz hat aus ihrer Sicht bereits den ersten Fehler gemacht: Wer sich nicht nur an Merz, sondern auch an Habeck abarbeitet, gibt zu verstehen, dass das ein Drei- und kein Zweikampf wird. Scholz und die SPD seien nervös, glauben sie im grünen Camp zu spüren. Das „Momentum“, das in der Politik so oft beschworen wird, läge bei ihnen. Bis auf Weiteres muss der Kandidat aber auch noch ein bisschen Minister sein. Und darf die Dynamik bloß nicht abwürgen. Knapp zwei holprige Autostunden von Nairobi entfernt hält Habeck am Montagmittag eine Hand in einen fast schon aufreizend hellblauen Pool. „Schön warm“, sagt er. Es handelt sich um eine Thermalquelle. Schade, dass niemand Badesachen dabeihabe, wird er später scherzen. Aber im Ernst: Geothermie ist Kenias großer Schatz. Mit dem 300 Grad heißen Dampf aus tausend Meter Tiefe deckt das Land einen Großteil seines noch bescheidenen Energiebedarfs. Hier, in den Hügeln von Olkaria, steht bereits das größte Geothermiekraftwerk Afrikas, weitere sollen folgen. Der Stolz, der Habeck hier begegnet, ist mindestens so groß wie der Ehrgeiz, wirtschaftlich weiter aufzuschließen. Und ein Vorzeigepartner zu sein. Es könnte alles so schön sein. Krankenakte Deutschland Zuhause in Deutschland sieht die Sache leider ein wenig anders aus. Zuletzt wackelte ein großes Transformationsprojekt nach dem anderen. Zuerst verschob Intel seine Chipwerk-Pläne in Magdeburg auf unbestimmte Zeit, auch Wolfspeed wird im Saarland nun doch keine Halbleiter bauen. Der schwedische Batteriekonzern Northvolt, der eigentlich in Habecks Heimat Schleswig-Holstein investieren will, rutschte vor Kurzem in die Insolvenz. Ausgang offen. Und Industriegigant Thyssenkrupp könnte am Umstieg auf grünen Stahl grandios scheitern, trotz Milliardenförderung aus dem Wirtschaftsministerium. Nun könnten zu allem Überfluss sogar die Klimaschutzverträge, ein wichtiges Hilfsinstrument seines Hauses für Unternehmen, dem Ampel-Aus zum Opfer fallen, weil es keinen belastbaren Bundeshaushalt gibt. Rezession herrscht sowieso schon und im Tagestakt verkünden Unternehmen Entlassungen. Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser, einst ein Unterstützer, poltert mittlerweile gegen Habeck. Und jüngst förderte auch noch eine Studie die Erkenntnis zutage, dass die deutsche Rohstoffabhängigkeit, alle Diversifizierungsbeschwörungen und Reisen zum Trotz, in den vergangenen zwei Jahren noch weiter gestiegen ist. Das heutige Bundeswirtschaftsministerium in Berlin war früher einmal ein Heim für verletzte preußische Soldaten, die Adresse lautet bis heute: Invalidenstraße. Wie passend. Die Krankenakte des Standorts wird schließlich immer länger. Kann man so Kanzler werden? „Ganz schön Moll alles“ In der Hauptstadt, in einem umgebauten Gasometer in Schöneberg, betritt Habeck vor genau einer Woche die blau ausgeleuchtete Bühne seiner eigenen Industriekonferenz. Für „Bequemlichkeit und Bräsigkeit“ dürfe es von nun keinen Raum mehr geben, sagt er. Ja, „ganz schön Moll alles im Land“, so viel Bekenntnis muss sein, und man könne den Stimmungsumschwung schließlich nicht verordnen. Aber. Der Minister ist gerade ein wandelndes Aber. Habeck wäre nicht Habeck, würde er in diesem Depressionsdunst nicht seine Chance wittern, den Trübsinn gerade noch rechtzeitig zu vertreiben. Er und nur er. „Wir reichen mit den alten Antworten nicht mehr an die Gegenwart heran“, ist an jenem Konferenztag so ein typischer Satz von ihm. „Wir können alles ändern, wenn wir nur wollen“, ein anderer. Schuldenbremse, Zeitenwende, Konjunktur, eine neue Globalisierung wagen: Wenn man so will, glaubt der Grüne, dass er konsequent vollenden und verbessern könnte, was Scholz in seinen etwas mehr als drei Jahren im Amt unvollendet und verbessert wird hinterlassen haben. Er und nur er. Jetzt erst recht Autosuggestion, geschenkt, gehört zur Grundausstattung jedes Wahlkämpfers. Habeck jedenfalls wähnt sich im offenen Gelände. Er hat die Hoffnung längst nicht aufgegeben, dass das Ampel-Desaster am Ende mit dem Kanzler nach Hause geht und nicht mit ihm, dem Vizekanzler. Er setzt darauf, dass er sich in den Augen der Wählerinnen und Wähler noch einmal neu erfinden darf. Kurzum: Dass die Erinnerungen an Heizungsgesetze, gescheiterte Großsubventionierungen und ausgebliebene Reformprogramme bald verblassen. Nairobi, an diesem Dienstag. Eine neue, noch größere Bühne, diesmal die des German-African Business Summit. Habeck spricht frei, noch dazu auf Englisch, was seiner rhetorischen Überzeugungskraft nicht unbedingt zuträglich ist. Am Horizont sehe es „so dunkel aus“, sagt er. Es seien „herausfordernde Zeiten“. Trotzdem unternimmt der Ehrengast aus Deutschland den Versuch, all die großen Fragen und Konflikte der Zeit zusammenzuführen, zusammen zu denken. Vom aufkommenden Nationalismus und der Krise des Welthandels spannt er den Bogen zum globalen Klimaschutz, und verbindet es am Ende mit einem Loblied auf eine „bessere, multilaterale Zukunft“. Aber. Aber. Aber. Ambition und Flughöhe von Habecks Rede demonstrieren den Kanzleranspruch. Auch der Applaus wogt überaus freundlich durch den Saal. Bliebe da nicht all der Ballast, der nur darauf wartet, ihn in der Heimat sofort wieder herzlich im Empfang zu nehmen.