Tuesday, December 3, 2024
Ulrich Reitz - Sie wollen Frieden? Lesen Sie mal, wie Scholz mit Ihrer Angst Politik macht
Ulrich Reitz - Sie wollen Frieden? Lesen Sie mal, wie Scholz mit Ihrer Angst Politik macht
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz • 6 Std. • 5 Minuten Lesezeit
Kanzler Olaf Scholz will keine weitere Lockerung der Auflagen für den Einsatz westlicher Waffen gegen Russland.
Krieg und Frieden werden zum entscheidenden Wahlkampfthema. Olaf Scholz gibt den Angstkanzler. Robert Habeck warnt vor der Unterwerfung. Irgendwo dazwischen: Friedrich Merz. Was muss man wählen, wenn man den Frieden will?
Es gibt jetzt diese neue Erzählung der Kanzlerpartei. Olaf Scholz hat damit angefangen, die SPD rollt sie gerade aus ins Land und womöglich wird es das wirkungsvollste Narrativ in diesem kurzen Wahlkampf bis zum 23. Februar: Die SPD kommt von der Venus, die CDU kommt vom Mars. Von dort, wo auch die Grünen herkommen.
Es ist eine einfache Geschichte, sie muss es auch sein, um zu wirken. So einfach, dass manche in der SPD es schon hinkriegen, sie in nur einem einzigen Satz zu erzählen.
Zum Beispiel der Abgeordnete Macit Karaahmetoglu, Volljurist, Wahlkreis Ludwigsburg, wo es in direkter Auseinandersetzung mit der Konkurrenz für ihn nur reichte für Platz drei, dank Scholz über die sozialdemokratische Liste dann aber für den Bundestag.
Die Botschaft: Wer Merz wählt oder die Grünen, riskiert den Atomkrieg
Listen-Abgeordnete verdanken ihr Mandat mehr ihrer Partei als ihrem persönlichen Erfolg, darum gelten sie als besonders loyal – wes´Brot ich ess´des´Lied ich sing. Karaahmetoglus Angstsatz, in leichter Scholz-Abwandlung:
„Franziska Brantner möchte mit Friedrich Merz den Mann in Verantwortung sehen, der der Atommacht Russland Ultimaten stellt und deutsche Raketen nach Russland fliegen sehen möchte.“ Dann die Schlussfolgerung, mundgerecht für den Stimmzettel: „Russisch Roulette? Ohne uns, liebe @DieGrünen.“
Diese Botschaft – wer Merz wählt oder die Grünen, riskiert den Atomkrieg – werden wir noch oft hören von all den „Besonnenen“ in der SPD, die nun auf einmal alle so argumentieren wie zwei Parteien lange schon vor ihnen: die AfD und das BSW.
Robert Habeck liefert das Alternativprogramm
Das Alternativprogramm gibt es von und mit Robert Habeck, der direkt den Kanzler angreift, mit dem er noch am Kabinettstisch sitzt, genau genommen als Vizekanzler der Bundesrepublik. Der Grüne in seiner adventlichen, wärmenden Küchenrhetorik: „Besonnenheit ist immer richtig und gut. Aber es muss eben auch eine gerichtete Besonnenheit sein. Und das heißt, dass wir den Frieden in Europa in Freiheit bekommen müssen. Und das geht nicht, indem man sich vor Putin in den Staub wirft.“
Für Feinschmecker: Würde Scholz krank, würde ihn Habeck als Kanzler vertreten. Überall. Auch im Bundessicherheitsrat. Der über die Taurus-Raketen entscheidet. Scholz lehnt deren Lieferung an die Ukraine ab, Habeck ist dafür. Und wenn dann Scholz einmal nicht da wäre?
Damit liegen jedenfalls die grundsätzlichen Alternativen auf dem Tisch. Und es stellt sich diese Frage: Ich will den Frieden. Also: Was muss ich wählen?
Zunächst: Frieden wollen alle. Chamberlain wollte Frieden, Churchill wollte Frieden. Chamberlain probierte es mit Hitler. Churchill ohne Hitler. Das war das richtige Rezept. Das Problem: Man weiß es erst hinterher.
Keine – von Scholz so genannte – „Eskalation“ war die eine zu viel
Das klingt flapsiger, als es ist. Wladimir Putin agiert diabolisch – er lässt sich nicht in die Karten gucken. Daran erkennt man den talentierten Geheimdienstler im Gewand eines Spitzenpolitikers. Putin macht das sehr gut und wäre es anders, hätte er schon längst verloren.
Bis heute weiß der gesamte Westen nicht, ob die nächste Waffe eine zu viel gewesen sein wird. Was man weiß, ist, dass es bisher noch nicht so war. Keine – von Scholz so genannte – „Eskalation“ war die eine zu viel.
Augenscheinlich gilt das auch für die von Amerikanern, Franzosen und Briten gelieferten Atacams: Raketen höherer Reichweite, mit denen die Ukraine auch russisches Territorium angreift.
„Brandgefährlich“ nennt Sahra Wagenknecht das. Mag sein. Aber es „brennt“ auch noch nicht, jedenfalls nicht im Westen, was ja ihre Befürchtung nahelegte. Nicht nur Putin macht eben mit „hätte und wäre“ Konjunktiv-Politik. Auch Wagenknecht nährt sich gut vom Angst-Narrativ.
Ein west-östliches Angst-Paradox
Zur Angst gehören immer zwei. Putin verbreitet Furcht und Schrecken, es ist psychologische Kriegsführung. Glaubt ihm niemand, fällt der Ansatz in sich zusammen. Bisher glauben ihm viele, Joe Biden voran, dicht gefolgt von Olaf Scholz.
Aber: Je näher man in Europa Russland kommt, desto mehr nimmt die Furcht ab. Die Tapfersten sind die Balten, mit ihnen die Polen. Und die Finnen mit ihrer langen Grenze zum Reich des Bösen. Es gibt ein west-östliches Angst-Paradox.
Wobei der deutsche Sozialdemokrat eine gleich doppelte Angst nährt: die vor einem russischen Atomschlag und damit auch die, dass der Nato-Artikel 5, die Beistandsgarantie, nicht mehr abschreckend wirkt auf Russland.
Beides, die Kombination aus Atomangst und Nicht-Vertrauen in die Abschreckung, addiert sich im Scholzschen Denken zu einer fatalen Mischung. Für die Habeck die Staub-Metapher erfunden hat, und in der Tat: Wer denkt wie Scholz, darf im Grund den Ukrainern gar nichts liefern, außer Helmen vielleicht noch.
Scholz bewegt sich in einer sozialdemokratischen Angst-Timeline
Diese Denkfigur, aus Angst geboren, hat in Deutschland eine lange Tradition. Und die hatte stets zu tun mit den Russen. Insofern bewegt Scholz sich in einer sozialdemokratischen Angst-Timeline. Und die reicht von der Debatte über Deutschlands Wiederbewaffung Anfang bis Mitte der fünfziger Jahre bis zur Nato-Nachrüstungsdebatte Ende der siebziger Jahre.
Wer den Russen militärisch etwas entgegensetzen wollte, war es eine Bundeswehr oder Nato-Mittelstreckenraketen, wurde mit dem Sponti-Spruch bedacht: „Lieber rot als tot“. Mit Habecks Warnung vor dem In-den-Staub-Werfen kehrt er nun zurück.
Beide Male in der deutschen Nachkriegsgeschichte war es so, dass die Bevölkerung dem warnenden Teil der Sozialdemokratie – und bei der Nachrüstung auch den Grünen – nicht folgte. Die Deutschen gaben nicht den Pazifisten ihre Stimme, sie vertrauten den Aufrüstern, die von den selbst erklärten Friedensfreunden als „Militaristen“ verunglimpft wurden.
Putin ist schon da - in Berlin und im gesamten Westen
Heute heißen die Verunglimpften „Kriegstreiber“, was auch nur zeigt: Geschichte wiederholt sich manchmal eben doch. Beide Male gab die Geschichte den Anti-Pazifisten recht.
Die Überwindung der deutschen Teilung ist wohl ohne die feste Verankerung im westlichen Bündnis, gerade dem Verteidigungsbündnis, inklusive Bundeswehr und amerikanischer Atomraketen, nicht denkbar. Und beides ist auch heute Rückversicherung für die deutsche Souveränität, ergo: die demokratische Verfasstheit Deutschlands. Die bei „lieber rot als tot“ zur Debatte stünde.
Was wiederum das erklärte Ziel ist von Putin: Der kämpft schon heute nicht nur für die Eliminierung der Ukraine, sondern auch für die Unterjochung des Westens, Europa voran, den er für „dekadent“ und für eine Bedrohung des Russischen gleichermaßen hält.
Nun gibt es jene, die sagen: Putin wird schon nicht nach Berlin durchmarschieren. Dazu sagt jedenfalls der BND-Chef Werner Kahl: Das braucht er auch nicht, denn Putin ist schon da. In Berlin. Und im gesamten Westen. Nicht nur mit seinen Agitprop-Truppen, sondern auch mit jenen, die die empfindliche Infrastruktur angreifen, um weiter Unsicherheit und Angst zu säen.
Wer Frieden will, sollte den Krieg auf der Rechnung haben
Die Antwort auf die Frage, was muss ich wählen, wenn ich Frieden will – es gibt sie nicht.
Scholz mag sich als Friedenskanzler inszenieren – aber es ist nicht die Realität. Es ist nur eine Geschichte. Für die AfD und das BSW mag er gar der Kriegskanzler sein, weil er mit verweigerten Lieferungen das Elend noch verlängert. Es ist Ansichtssache.
Wer Frieden will, sollte den Krieg auf der Rechnung haben. Frieden mit Russland ist nichts für Angsthasen.