Thursday, December 5, 2024

Northvolt: Insolvenzexperten fürchten Totalausfall von 620 Millionen Euro

Handelsblatt Northvolt: Insolvenzexperten fürchten Totalausfall von 620 Millionen Euro Delhaes, Daniel Olk, Julian Blume, Jakob • 4 Std. • 4 Minuten Lesezeit Märkte heute Bundes- und Landesregierung haben dem Batteriehersteller Northvolt Millionen geborgt. Jetzt aber ist die schwedische Firma insolvent. Doch eine Option für die Rückzahlung bleibt bestehen. Die Anzeichen verdichten sich, dass der deutsche Steuerzahler tatsächlich auf einem Schaden von 620 Millionen Euro sitzen bleiben könnte. Dabei hatte die Bundesregierung dieses Geld dem Unternehmen Northvolt eigentlich nur geborgt. Der schwedische Batteriehersteller hat ein Insolvenzverfahren gestartet, weshalb eine Rückzahlung derzeit ausgeschlossen ist. Experten für Insolvenzrecht zweifeln daran, dass Northvolt nach dem Verfahren die 620 Millionen Euro zurückzahlen kann. Christoph Niering, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Köln, urteilt: „Das Risiko ist bei diesen Verfahren erheblich, dass es zu einem Totalausfall kommt.“ Habeck in den Haushaltsausschuss zitiert Lucas Flöther, Partner der Insolvenzverwaltung Flöther & Wissing, fügt hinzu, dass das gewählte Insolvenzverfahren bei Northvolt generell das Ziel eines Schuldenschnitts habe. „Geplant ist sicherlich nicht, dass es zu einer vollständigen Rückzahlung der Anleihe durch das Unternehmen kommt“, sagt er. Niering & Flöther räumen allerdings ein, dass die aktuell vorliegenden Informationen nicht für eine abschließende Bewertung ausreichen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) musste sich am Mittwochabend im Bundestag für den Vorfall um Northvolt verantworten. Der Minister war wegen des möglichen Schadens in den Haushaltsausschuss zitiert worden. Zuvor hatte sich Habeck optimistisch gezeigt, dass das Geld zurückfließt. Schon viele andere Unternehmen hätten eine Restrukturierung vollzogen und seien danach erfolgreich zurückgekehrt. Die Chance bestehe durchaus, dass Northvolt sich neu aufstelle, sich saniere und die Gelder erhalten blieben. Northvolt: Bund und Land verliehen Geld mit mehreren Investoren Hintergrund der Förderung ist, dass Northvolt den Bau einer Batteriezellenfabrik in der Stadt Heide in Schleswig-Holstein plant. Schon Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU) hatte den Aufbau einer deutschen Batterieindustrie subventioniert. Die Ampelregierung hatte schließlich dann die Förderbank KfW angewiesen, Northvolt mit einer Wandelanleihe in Höhe von 600 Millionen Euro zu helfen. Vor einigen Monaten hatten Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Habeck in Heide noch feierlich dem Baustart der Batteriefabrik beigewohnt. Dennoch ist das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten und startete aus diesem Grund ein Restrukturierungsverfahren nach dem US-Insolvenzrecht. Bei dem sogenannten „Chapter 11“-Verfahren wird das Geschäft weitergeführt, die Vermögenswerte nicht veräußert und eine Neuaufstellung als Ziel gesetzt. Daher kann die KfW erst einmal nicht damit rechnen, das Geld von Northvolt zurückzubekommen. Nun muss der Bund der KfW das Geld ersetzen. Zu der Anleihe von 600 Millionen Euro kommen 20 Millionen Euro Zinsen. Die Hälfte des Schadens übernimmt die Landesregierung von Schleswig-Holstein um Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Entscheidend ist jetzt, ob Northvolt nach dem Insolvenzverfahren so aufgestellt ist, um das Geld zurückzahlen zu können. Es bestehe dafür eine „gute Möglichkeit“, hieß es aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums: „Die Forderung besteht ja weiterhin und das Chapter-11-Verfahren wird mit dem Ziel durchgeführt, das Unternehmen wieder auf einen guten Pfad zu bringen.“ In den Kreisen will man auch dem Eindruck entgegenwirken, die Anleihe fahrlässig gewährt zu haben. Das Gesamtvolumen der Anleihe betrage mehr als drei Milliarden Dollar, mehrere andere Investoren seien dabeigewesen. Wirtschafts- und Finanzministerium hätten seinerzeit die Perspektive für die Rückzahlung geprüft und das Risiko für vertretbar gehalten, ebenso das Land Schleswig-Holstein. Die Insolvenzexperten halten es in der Frage der Rückzahlung für entscheidend, ob Sicherheiten für die Anleihe hinterlegt wurden. Das aber ist bislang nicht bekannt. Anwalt Niering hat Zweifel daran. Bei kriselnden Unternehmen achte der Staat grundsätzlich schon auf ausreichend Sicherheiten, weil er sich des Ausfallrisikos bewusst sei. So war das etwa bei der Fluggesellschaft Air Berlin. Dennoch warnt Niering: „Bei aufstrebenden Unternehmen wie Northvolt ist das häufig nicht der Fall.“ Auch Flöther erklärt: „Es ist fraglich, ob und welche Sicherheiten Northvolt den Gläubigern zur Verfügung gestellt hat.“ Doch er macht auch Hoffnung: „Private Geldgeber, insbesondere Kreditinstitute, verlangen in aller Regel Sicherheiten am Vermögen des Unternehmens oder von Dritten.“ Nach Handelsblatt-Informationen ist dieselbe Wandelanleihe damals auch von kommerziellen Investoren, von verschiedenen Pensionsfonds und institutionellen Investoren gezeichnet worden. Ein weiteres Indiz für eine mögliche Rückzahlung: Die US-Investmentbank Stifel hat die Wandeldarlehen von Northvolt laut Finanzkreisen in eine Kaufliste von Schuldverschreibungen notleidender Firmen aufgenommen. Das ist ein Indiz dafür, dass sich Investoren dafür interessieren, die Forderungen gegenüber Northvolt gegen einen Abschlag aufzukaufen. Für Investoren bedeutet das, dass sie nicht mit einem vollständigen Zahlungsausfall bei den Wandeldarlehen rechnen müssen. Stifel war kurzfristig nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Die CSU bringt trotzdem schon einen Untersuchungsausschuss ins Spiel. Generalsekretär Martin Huber sagte dem Handelsblatt, Habeck habe „Hunderte Steuermillionen verzockt“. Ein Untersuchungsausschuss sei „unvermeidlich“. Eines steht jedenfalls schon fest: Kürzungen bei anderen Programmen oder zusätzliche Kredite muss Berlin nicht aufnehmen. Die beim Bund jetzt zusätzlich anfallenden 300 Millionen Euro werden laut einer Sprecherin des Wirtschaftsministeriums durch Minderabflüsse bei anderen Haushaltstiteln finanziert.