Wednesday, November 27, 2024
Pete Hegseth galt als interne Gefahr. Doch Trump will den «modernen Kreuzritter» zum Verteidungsminister machen
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Pete Hegseth galt als interne Gefahr. Doch Trump will den «modernen Kreuzritter» zum Verteidungsminister machen
Christian Weisflog, Washington • 2 Std. • 5 Minuten Lesezeit
Pete Hegseth war ein überzeugter Neokonservativer, damals am 11. September 2001, als islamistische Terroristen die USA mit entführten Passagierflugzeugen angriffen. Präsident George W. Bush und seine neokonservativen Berater stürzten danach mithilfe des amerikanischen Militärs die Taliban in Afghanistan und Saddam Hussein im Irak. Sie glaubten daran, diese tyrannischen Regime in blühende Demokratien verwandeln zu können, so wie einst Japan oder Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch diese Idee erwies sich auch für Hegseth als schmerzhafter Irrtum, den er bis heute nicht ganz überwunden hat. Er bezeichnet sich deshalb selbst als «recovering neocon».
Aufgewachsen in einer Kleinstadt in Minnesota, schloss Hegseth die Highschool als Klassenbester ab. Zur Jahrtausendwende studierte er Politik an der Eliteuniversität Princeton in New Jersey. Bereits vor den Terroranschlägen schrieb er sich dort in das Ausbildungsprogramm der Armee für junge Offiziere ein. Gleichzeitig war er der Herausgeber der konservativen Studentenzeitschrift «The Princeton Tory». Dort sah er seine Mission darin, «die Pfeiler der westlichen Zivilisation» zu verteidigen. Er und andere Redaktoren schrieben etwa gegen die gleichgeschlechtliche Ehe an, die sie für eine «Bestialität» hielten. Hegseth bezeichnete Homosexualität als «unmoralischen Lifestyle».
Lobbyist für mehr Truppen im Irak
In einer Kolumne verteidigte Hegseth 2003 die amerikanische Invasion im Irak. Diese zeige, dass «konservative Ideen funktionierten, immer noch funktionieren und funktionieren werden». Bald sollte er mit der Realität dieser Idee konfrontiert werden. Nach dem Studium arbeitete Hegseth kurz für eine Investmentbank an der Wall Street, bevor er als Offizier der Nationalgarde 2004 nach Guantánamo verlegt wurde. In dem Gefängnis auf Kuba bewachte er mit seiner Einheit rund 600 Terrorverdächtige.
Nach Guantánamo war Hegseth 2005 zurück auf dem Börsenparkett an der Wall Street. Auf Bildschirmen dort liefen oft Berichte aus dem Irak, wo die amerikanischen Truppen zunehmend die Kontrolle verloren. «Ich bin ein fähiger, ausgebildeter Lieutenant. Was in der Welt tue ich hier?», fragte sich der damals 25-Jährige. «Ich muss einen Weg finden, um ein Teil davon zu sein.»
Wenige Monate später flog Hegseth in Helikoptern zu nächtlichen Überraschungsangriffen und Hausdurchsuchungen im Irak. Sein Infanteriezug gehörte zur Kompanie Charlie, die von einigen Soldaten wegen ihrer aggressiven Methoden auch «Kill Company» genannt wurde. Einige seiner Kameraden töteten Zivilisten, exekutierten Gefangene und versuchten die Kriegsverbrechen zu vertuschen. Hegseth gehörte nicht dazu, auch wenn er selbst bestimmte Regeln infrage stellte. Dass sie erst auf einen Aufständischen schiessen durften, wenn dieser seine Waffe auf sie richtete, fand Hegseth unsinnig. Die Vergehen in seiner Kompanie verurteilte er aber als unentschuldbare «Greueltaten».
Für seinen verdienstvollen Einsatz im Irak wurde er mit einem «Bronze Star» ausgezeichnet. Seine Erlebnisse machten Hegseth noch nicht zum Kriegsgegner. Im Gegenteil: Zurück in den USA, übernahm er die Leitung der Veteranengruppe Vets for Freedom, die sich für eine Aufstockung der Truppen im Irak einsetzte und weiterhin an einen Sieg glaubte. 2011 ging er «optimistisch» als Ausbildner nach Afghanistan. Gleichzeitig schrieb er sich an der renommierten Harvard Kennedy School of Government für ein weiteres Diplom an einer Eliteuniversität ein.
Mit diesem Hintergrund sah sich Hegseth dazu bereit, 2012 in Minnesota für den Senat zu kandidieren. Doch er zog sich vorzeitig aus der Vorwahl zurück. «Ich habe das Terrain falsch eingeschätzt», sagt Hegseth rückblickend. Die antielitäre Tea-Party-Bewegung – eine Vorläuferin des Trumpismus – hatte die republikanische Basis übernommen. «Das Letzte, was sie wollten, war ein netter Krawatten-Typ aus den Eliteuniversitäten», sagte er kürzlich in einem Podcast.
Dies schien der Moment zu sein, in dem sein neokonservatives Weltbild einstürzte. Während seine Generation mit den Kriegen im Ausland beschäftigt gewesen sei, habe sich sein Land verändert, erklärte Hegseth in dem Podcast. Er habe einen Moment gebraucht, um das zu begreifen: «Wir wurden von innen infiltriert, unsere Institutionen wurden übernommen, und unser Kampf ist nun hier, um diese zu retten.»
Fürsprecher für mutmassliche Kriegsverbrecher
Hegseth übernahm die Geschäftsführung der Besorgten Veteranen. Die von den konservativen Koch-Milliardären finanzierte Organisation prangerte vor allem die staatlichen Gesundheitsdienste für die ehemaligen Soldaten an. Als die Medien 2014 über Veteranen berichteten, die in Phoenix verstorben waren, weil sie nicht rechtzeitig eine medizinische Behandlung erhalten hatten, war Hegseth plötzlich ein gefragter Interviewpartner beim konservativen Fernsehsender Fox News. Auch Donald Trump schaute seinen telegenen Auftritten gerne zu. Er mochte Hegseth so sehr, dass er 2016 gar erwog, ihn zum Minister für Veteranen-Angelegenheiten zu machen.
Hegseth bekam die Stelle nicht. Eine Rolle sollen dabei seine ausserehelichen Affären und die angebliche Veruntreuung von Spendengeldern gespielt haben. Dafür stieg Hegseth im Frühstücksfernsehen bei Fox News zum beliebten Moderator auf. Dort nutzte er seine Rolle, um für die Begnadigung von verurteilten oder unter Strafverfolgung stehenden Kriegsverbrechern zu werben. Zu ihnen gehörten Mathew Golsteyn, der einen Gefangenen in Afghanistan erschossen hatte, Clint Lorance, der seinen Untergebenen befohlen hatte, auf unbewaffnete Afghanen auf einem Motorrad zu schiessen, und Edward Gallagher, der unter anderem vor Leichen für ein Foto posiert hatte. Hegseth sah diese Soldaten nun als Kriegshelden, die von einer linken und woken Militärführung betrogen wurden. Damit überzeugte er auch Trump, der die drei Veteranen 2019 begnadigte: «Wir bilden unsere Jungs zu Tötungsmaschinen aus, dann bestrafen wir sie, wenn sie töten», rechtfertigte der Präsident seine Entscheidung.
Hegseth trägt zwar oft Krawatte. Aber nur ein netter Typ will er nicht sein. Vor zwei Jahren sandte er sein Harvard-Diplom vor laufender Kamera demonstrativ «an den Absender» zurück. Solche linken Bildungsinstitutionen würden den Geist der amerikanischen Kinder «vergiften», mahnte er.
Die Linke soll «völlig» vernichtet werden
Seine eigene Mutter sagt über Hegseth: «Für mich ist Pete ein moderner Kreuzritter. Er findet die Probleme, die ihm viel bedeuten, und dann geht er ihnen nach.» In drei Büchern hat Hegseth in den vergangenen Jahren seine Weltsicht dargelegt. Die Linke habe Gott aus den Zimmern der öffentlichen Schulen verbannt, sagt er überzeugt. So würden die Kinder zum «kulturellen Marxismus» erzogen. Hegseth und seine dritte Ehefrau sind deshalb ins konservative Tennessee gezogen, um ihre sieben Kinder aus verschiedenen Ehen dort in eine christliche Schule zu schicken. Die Linke müsse mit dem Ziel der «völligen Vernichtung» besiegt werden, schrieb Hegseth in seinem Buch «American Crusade», sonst könnten die USA nicht überleben.
Auch das amerikanische Militär sieht Hegseth durch den linken Zeitgeist geschwächt. Er kritisiert unter anderem die Zulassung von Frauen für Kampfeinheiten unter Präsident Barack Obama 2013 oder den Dienst von Transgender-Personen. In seinem jüngsten Buch, «The War on Warriors», ruft Hegseth dazu auf, jeden General zu entlassen, der unter Obama und Joe Biden zur «extrakonstitutionellen Transformation» des Militärs beigetragen habe. «Wir sollten im Panik-Modus sein. Fast verzweifelt. Bereit, alles zu tun, um den Krieg gegen unsere Krieger zu beenden.» Vom Kriegsvölkerrecht will Hegseth derweil nichts mehr wissen: «Diese Regeln wurden geschrieben, damit wir verlieren.»
Nun will ihn Donald Trump zum Verteidigungsminister machen. Doch seine Bestätigung im Senat könnte am Widerstand moderater Republikaner scheitern. Dabei drohen ihm vor allem zwei Stolpersteine: Zum einen warf eine verheiratete Frau dem frömmelnden TV-Moderator 2017 einen sexuellen Übergriff vor. Ihre Aussagen waren widersprüchlich, aber Hegseth bezahlte ihr ein Schweigegeld. Er selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt in Scheidung, weil er seine Produzentin bei Fox News und spätere dritte Ehefrau geschwängert hatte.
Zum anderen steht Hegseth bei Kritikern im Verdacht, ein rechtsextremer, christlicher Nationalist zu sein. Er hat sich die wichtigsten Symbole und Sätze seines Glaubens in die Haut tätowieren lassen. Auf der Brust trägt er ein grosses Jerusalemkreuz, auf dem Bizeps steht «Deus Vult» – «Gott will es». Mit diesem lateinischen Schlachtruf sollen die Christen in den ersten Kreuzzug gezogen sein. Weil das Motto auch bei Rechtsextremisten beliebt ist, erhielt Hegseth als Reservist der Nationalgarde 2021 in Washington kein Aufgebot, um Joe Bidens Inauguration zu bewachen. Er galt seinem Kommandanten als «insider threat» – als eine interne Gefahr.