Friday, November 22, 2024

„Führungsstil wie Olaf Scholz“: Woidke wirft Grünen-Ministerin Nonnemacher auf Flur des Bundesrats raus

Berliner Zeitung „Führungsstil wie Olaf Scholz“: Woidke wirft Grünen-Ministerin Nonnemacher auf Flur des Bundesrats raus Elmar Schütze • 4 Std. • 5 Minuten Lesezeit Der Rauswurf von Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher durch Ministerpräsident Dietmar Woidke hat am Freitag ein Polit-Beben in Brandenburg ausgelöst. Wenige Wochen vor Ende der noch geschäftsführend amtierenden Kenia-Koalition sorgt vor allem der Stil, mit der der SPD-Regierungschef seine Stellvertreterin von den Grünen aus dem Amt beförderte, für Empörung. Es war der Tag der Entscheidung über die Krankenhausreform im Bundesrat. Noch am Morgen habe ihr Woidke die Entlassungsurkunde „am Rande im Flur des Bundesrates überreicht“, sagte Nonnemacher im Gespräch mit Journalisten. Formell stellt sich die Sache etwas anders dar. So hat Nonnemacher, wie alle anderen verbliebenden Minister der alten Regierung, am Tag der Konstituierung des neuen Landtags im Oktober, ihre Entlassungsurkunden erhalten. Ministerpräsident Woidke hatte jedoch alle gebeten, ihre Geschäfte bis zur Einsetzung einer neuen Regierung fortzuführen. Diese Bitte hat er im Falle Nonnemacher am Freitag zurückgenommen. Sie musste gehen. So oder so: Eine Rede über die umstrittene Krankenhausreform, in der sie vor einem Aus gewarnt hätte, konnte Nonnemacher deshalb nicht mehr halten. „Ich bedauere diesen Tiefpunkt der politischen Kultur“, sagte die Grünen-Politikerin anschließend. Woidkes Position gibt Regierungssprecher Florian Engels wider: Eine Krankenhaus-Konferenz in der Staatskanzlei am Mittwoch habe einmal mehr gezeigt, dass „die große Mehrheit der Praktiker und der Kommunen klar für die Anrufung des Vermittlungsausschusses plädierten“. Woidke ebenso – genau wie übrigens auch sein anderer Stellvertreter, Innenminister Michael Stübgen von der CDU. Die Krankenhaus-Reform sei handwerklich schlecht gemacht. Zudem befürchten Kritiker eine Schließung mancher kleiner Krankenhäuser in der Provinz. Nonnemacher habe dennoch beabsichtigt, gegenteilig abzustimmen, so Engels. Damit wären Brandenburgs Stimmen ungültig gewesen. „Dies konnte Ministerpräsident Woidke nicht zulassen.“ Bemerkenswert: Die Grünen-Politikerin war am Ende die einzige Brandenburger Spitzenpolitikerin, die die Krankenhausreform des SPD- Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unterstützte. Die Fachministerin unterstützte die Reform bis zuletzt und verwies auf einige hineinverhandelte Nachbesserungen. Vor allem bei den Grünen war nach dem Rauswurf ihrer Spitzenfrau die Empörung groß. Nonnemachers Entlassung sei „nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch ein Affront gegen all jene, die sich eine verlässliche Gesundheitsversorgung in Brandenburg wünschen“, sagte die Grünen-Vorsitzende Alexandra Pichl. Pichl spricht von einer „plötzlichen Entlassung“. Doch stimmt das? Nach Informationen der Berliner Zeitung wusste Nonnemacher, wie Woidke noch vor der Abstimmung im Bundesrat handeln werde. Sie hätte also auch selber Konsequenzen ziehen können. So oder so: Für die Grünen ist der Rauswurf „offenkundig politisch motiviert“, so Pichl weiter. Damit spielt sie auf die laufenden Koalitionsverhandlungen der SPD mit der BSW an. Ein Bündnis dieser beiden Parteien ist die logische Konsequenz aus der brandenburgischen Landtagswahl vor zwei Monaten. Mit der AfD will die SPD nicht zusammenarbeiten, mit der CDU hat sie keine Mehrheit, die Grünen flogen aus dem Landtag. „Es ist beschämend zu sehen, dass der SPD-Ministerpräsident vor nichts zurückschreckt, um seine Macht zu sichern. Diese Entscheidung zeigt, wie weit die SPD inzwischen bereit ist zu gehen, um sich für eine künftige Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht anzubiedern“, teilte Pichl weiter mit. Die Abkehr von einer „dringend notwendigen Reform“ spiele offensichtlich in die Hände des BSW, „das mit populistischen Parolen gezielt Unruhe schüren will“. SPD und BSW wollen „noch vor Weihnachten“ Woidke erneut zum Ministerpräsidenten wählen. Dieser könnte sich dann eine Regierung mit Ministern aus den beiden Parteien zusammenstellen. Im Laufe des Nachmittags zog auch das letzte verbliebene Regierungsmitglied der Grünen, Umweltminister Axel Vogel, die Konsequenz auf den Rauswurf seiner Parteifreundin. Er trat am späten Nachmittag nach einer Sitzung des Landesvorstands der bei den Wahlen auf 4,1 Prozent geschrumpften Partei zurück. Auch der bei der Landtagswahl als Spitzenkandidat ebenfalls schwer geschlagene CDU-Fraktionschef Jan Redmann kritisiert Woidkes Vorgehen. Zwar wäre die Anrufung des Vermittlungsausschusses richtig gewesen, so Redmann, aber: „So geht man menschlich nicht miteinander um, wenn man jahrelang Verantwortung miteinander getragen hat. Die öffentliche Demütigung der Gesundheitsministerin ist unwürdig.“ Zumal der Konflikt seit Tagen offenbar war und hätte vor der Sitzung des Bundesrats gelöst werden können. Durch sein Verhalten in der Länderkammer habe Woidke nun aber „nicht nur das Amt der Gesundheitsministerin beschädigt, sondern auch das des Ministerpräsidenten. Das erinnert doch sehr an den Führungsstil von Olaf Scholz“, sagte Redmann. Der Fall Scholz/Lindner ist noch sehr präsent, doch dient er nur bedingt als Vorbild. Schließlich legen etliche Aussagen nahe, dass Scholz mit seiner Aktion nur Lindner zuvor gekommen sei – die FDP das Ende der Ampel-Koalition von langer Hand geplant hatte. Das wirft den Grünen in Brandenburg bisher niemand öffentlich vor. Auch wenn Nonnemachers wissen musste, dass ihr Beharren auf einen Alleingang in jedem Fall das Ende ihrer Arbeit als Ministerin zur Folge haben musste. Es ist im Übrigen nicht der erste Eklat im Bundesrat, an der die brandenburgische Landesregierung beteiligt war. Beobachter mögen sich erinnern an den März 2003. Es ging um das Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung Schröder, im Bundesrat stand es auf der Kippe. In Brandenburgs damaliger großer Koalition war die (größere) SPD für das Gesetz, die (kleinere) CDU wollte die Verweisung in den Vermittlungsausschuss. Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und sein Stellvertreter, Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), steckten in der Klemme: Entweder sie wendeten sich gegen die jeweils eigenen Leute oder sie riskierten den Bruch der Koalition in Potsdam. Nach der nicht einheitlichen Stimmabgabe Brandenburgs fragte der damalige Bundesratspräsident, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), nach: „Ich frage Ministerpräsident Stolpe, wie das Land Brandenburg abstimmt.“ Stolpe antwortete mit Ja. Schönbohm ergänzte ungefragt: „Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident.“ Wowereit beschloss: „Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg mit Ja abgestimmt hat.“ Damit war das Gesetz durch. Ein Tumult brach aus, es gab Proteste und Zwischenrufe. Die Unionspolitiker verließen den Saal und warfen Wowereit Verfassungsbruch vor. Der damalige CDU-Vizefraktionschef Friedrich Merz sagte: „Wir werden von einer Gruppe von Leuten regiert, die ohne jeden Respekt sind, wenn es darum geht, ihren machtversessenen Anspruch durchzusetzen.“ Zwei Tage danach bekannte der damalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), dass der Eklat inszeniert war: „Das war Theater, aber es war legitimes Theater.“ Das wird so bald wohl niemand über die aktuelle Brandenburger Eskapade sagen. Dennoch hielt der Tag im Bundesrat noch weitere Volten parat. So wurde das Votum Thüringens nicht mitgezählt, da es uneinheitlich war, wie Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) feststellte. Zuerst stimmte Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) für den Vermittlungsausschuss, direkt danach widersprach Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Der schwarz-rote Berliner Senat hatte sich zuvor auf eine Enthaltung im Bundesrat geeinigt – und die anwesenden Vertreter um den stellvertretenden Regierungschef Stefan Evers (CDU) hielten sich an die Absprache. All dies trug am Ende dazu bei, dass Brandenburgs Regierungschef Woidke „seine Machtdemonstration“, wie es die Grünen nennen, nichts nutzte. Der Vermittlungsausschuss wurde nicht angerufen, das Krankenhausreformgesetz passierte den Bundesrat.