Tuesday, October 8, 2024
Gibt es bei der „Schwäbischen Zeitung“ einen Rechtsruck?
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Gibt es bei der „Schwäbischen Zeitung“ einen Rechtsruck?
Artikel von Rüdiger Soldt • 2 Std. • 12 Minuten Lesezeit
Hier wird redigiert: der Schwäbisch Media-Verlag in Ravensburg
Artikel über den örtlichen Reitverein sind im digitalen Zeitalter echte Ladenhüter. Lokaljournalismus verkauft sich schlecht. Viele Regionalzeitungen fluten ihre Internetseiten deshalb mit Blaulicht-Meldungen: Mord, Verkehrsunfälle, Kriminalität. Besonders nachhaltig ist das nicht. Für eine Polizeimeldung abonniert man eine digitale Zeitung nicht länger als zur Probe. Diese Entwicklung macht auch der „Schwäbischen Zeitung“ zu schaffen.
Die früher in Leutkirch im Allgäu, heute im oberschwäbischen Ravensburg redigierte Zeitung gehörte mal zu den bedeutenden deutschen Regionalblättern. Fest verankert in Oberschwaben. Christlich, konservativ, katholisch. Das Selbstbewusstsein war groß, wie bei vielen Regionalblättern früher. Einen Chefredakteur wie Chrysostomus Zodel kannten sie sogar in Bonn. Als die Zeitung von Leutkirch nach Ravensburg umzog, baute man ein modernes Redaktionsgebäude.
Auf dem Papier ist die Welt für die Presseverlage noch in Ordnung: Sie werden von den Lesern und Anzeigenkunden für ihre Leistung bezahlt. Aber wie lange noch?
Baden-Württemberg war ein starkes Zeitungsland
Die blockartige Architektur am Rand der Ravensburger Altstadt zeugt noch heute vom Selbstbewusstsein des Verlags – wie das Rathaus, die Kreissparkasse sollte die Zeitung zu den städtischen Institutionen gehören. Baden-Württemberg war ein starkes Zeitungsland, heute stehen „Badische Zeitung“, „Mannheimer Morgen“, „Südkurier“ und die „Schwäbische Zeitung“ vor existenzbedrohenden Sorgen. Die Zahl der Abonnenten geht zurück, Teilen der städtischen Eliten ist es mittlerweile egal, was in der Lokalzeitung steht.
Die „Badische Zeitung“ baute im vergangenen Jahr zwanzig Redakteursstellen ab, die Inhalte des Mantels bezieht der Verlag größtenteils vom „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, es gibt nur noch einen Inlandskorrespondenten, der als fest angestellter Redakteur arbeitet, der sitzt in Stuttgart. Im Stadtgebiet von Freiburg hat die Zeitung eine Printauflage von rund 16.000 Exemplaren. Das ist wenig für eine Akademiker- und Universitätsstadt mit 230.000 Einwohnern.
Ähnlich niedrig ist die Stadtauflage des „Südkuriers“ in Konstanz oder des „Mannheimer Morgens“. Die Zeitung der Haas-Mediengruppe erscheint in der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs, einen eigenen Korrespondenten für die Landespolitik leistet sich das Blatt nicht mehr. Verkaufsgespräche mit der Funke Mediengruppe vor zehn Jahren wurden nicht zum Abschluss geführt. Den Einfluss auf die Stadtgesellschaft beschreiben Kommunalpolitiker als „marginal“.
Bei der „Stuttgarter Zeitung“, einst ein liberales Flaggschiff des deutschen Zeitungsjournalismus, fast so einflussreich wie die „Süddeutsche Zeitung“, lösten Verlagsmanager die klassischen Ressorts auf. Die gemeinsam mit den „Stuttgarter Nachrichten“ ausgewiesene Auflage liegt bei 158.000 Exemplaren, was den Anspruch „Zeitung für Baden-Württemberg“ kaum noch rechtfertigt. Die Stuttgarter leiden unter den Aktivitäten der in der gleichen Verlagsgruppe erscheinenden „Süddeutschen“, die ihre Berichterstattung aus Baden-Württemberg verstärkt hat.
Das Wort „Zeitung“ fällt selten
Doch auch fern der baden-württembergischen Landeshauptstadt kämpft man gegen Bedeutungsverlust und sinkende Auflagen. Trifft man Lutz Schumacher, den Geschäftsführer der SV-Gruppe, zu der neben der „Schwäbischen Zeitung“ der „Zollern-Alb-Kurier“ sowie die vor allem in Mecklenburg-Vorpommern erscheinenden Titel „Nordkurier“ und „Schweriner Volkszeitung“ gehören, zum Gespräch, fällt das Wort Zeitung selten. Auch von journalistischer Qualität redet Schumacher im obersten Besprechungsraum des Verlagshauses mit Blick auf die Ravensburger Altstadt und die Alpen wenig, dafür von „Plattformen“, ständig defekten Druckmaschinen und den 1,5 Millionen Haushalten im Einzugsbereich. Das alte Modell: Redaktion liefert Information, Abonnent zahlt, Firma inseriert – das funktioniert so nicht mehr.
„Die zentrale Frage für ein regionales Medienhaus ist: Womit verdienen wir in fünf oder zehn Jahren Geld?“, sagt Schumacher. Die Inhalte aus der Tageszeitung eins zu eins ins Internet zu heben und ein Preisschild draufzukleben, das sei nicht die Lösung. „Das haben wir versucht und verworfen. Das Modell heißt Plusabo – und daran glauben wir nicht.“ In der Spitze hatte die „Schwäbische Zeitung“ 9000 Digital-Abonnenten, die mit ihren Gebühren etwa 0,5 Prozent zum Gesamtumsatz beigesteuert haben. Zum Vergleich: Die verkaufte Druckauflage ist zwar stark gesunken, beläuft sich aber immer noch auf gut 138.000 Exemplare.
Keine Bezahlschranke im Netz mehr
Das Unternehmen hat das Abomodell im Internet aufgegeben, die Bezahlschranke gibt es nicht mehr, alle Artikel sind frei verfügbar. Den „Stein der Weisen“, wie sein Unternehmen trotzdem Geschäfte mit digitalen Inhalten machen will, hat Schumacher nach eigenen Angaben noch nicht gefunden, aber es gebe „Basisannahmen“. Man „muss mit möglichst vielen Menschen in der Region in Kontakt sein. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, um überhaupt irgendwelche Geschäfte zu machen. Du brauchst eine nachhaltige Reichweite in die Haushalte“, sagt der 56-Jährige, der dabei auf schwäbische.de und nordkurier.de setzt. „Wir werden die Portale ausbauen, damit sie als Reichweitenportale funktionieren und ganz unterschiedliche Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen erreichen.“
Hohe Reichweiten, viele Menschen – erst wenn das geschafft ist, will Schumacher darüber nachdenken, wie sein Verlag Klicks in Geld umwandelt. „Ich glaube, es ist ein Denkfehler, dass man zu schnell gefragt hat, wie bekomme ich da Geld raus“, erläutert der Geschäftsführer. „Du darfst im ersten, zweiten, dritten Schritt noch nicht ans Geschäft denken. Sondern du musst erst mal einen großen Marktplatz aufmachen und sagen, kommt alle her, gewöhnt euch an uns, vergnügt euch hier.“ Zielgruppenoptimierte Onlinewerbung könnte ein Geschäftsmodell sein, die Vermittlung von Geschäften für den lokalen Einzelhandel ein anderes. Denkbar sei auch, dass die SV-Gruppe selbst als Händler agiert – und Weine, Spielfilme oder Hundefutter verkauft.
Tageszeitung gegen Mittag, mit Paketlieferung
Klar ist, dass es noch dauern wird, bis solche digitalen Geschäfte die SV-Gruppe finanzieren. Zurzeit machen sie weniger als zehn Prozent des sich auf rund 250 Millionen Euro belaufenden Umsatzes aus, wie Schumacher im Juni in einer Mitteilung an die Mitarbeiter schreibt. Noch basiert das Unternehmen auf der gedruckten Tageszeitung, die aber vor allem Menschen unter 50 Jahren nicht mehr lesen wollen. Mit jedem verlorenen Abonnenten verteuern sich Produkt und Zustellung. Schumacher geht davon aus, dass sich in den kommenden Jahren und mit steigendem Mindestlohn mehr und mehr Lokalzeitungen aus der Fläche zurückziehen, weil es sich nicht mehr rechnet, die Exemplare zuzustellen.
Die SV-Gruppe experimentiert damit, die Zeitung am Tag zuzustellen und mit ihr Pakete auszuliefern, um Zusatzerlöse zu generieren und Zustellkosten zu senken. Die Folge wäre, dass die Zeitung nicht um 6 Uhr im Briefkasten ist, sondern gegen Mittag – nicht alle Bezieher gehen da mit. Für die Generation zwischen 50 und 70 sei das digitale E-Paper eine Alternative. Schumacher hofft, bis zum Ende der Dekade einen „signifikanten Anteil“ der Druckauflage in E-Paper-Abonnements umzuwandeln. Allein retten wird das die Mediengruppe nicht. Es ist eine Wette darauf, dass die digitalen Geschäfte profitabel sind, bevor die letzte Zeitung gedruckt und ausgetragen ist.
„Wir stemmen uns gegen die Entwicklung, solange es geht“, sagt Schumacher. „Voraussetzung ist, dass wir Print so kosteneffizient wie möglich aufstellen, damit wir die immer weiter steigenden Stückkosten irgendwie auffangen.“ Er denkt an effizientere Produktionsprozesse beim Druck und Layout der Zeitung, an KI-Systeme, die das Redigieren von Standardmeldungen oder das Korrektorat übernehmen – und an den Abbau von Personal. Bereits als er 2020 zur „Schwäbischen Zeitung“ kam, drückte er die Zahl der Vollzeitstellen in der Redaktion von knapp 200 auf 160. Nach der Übernahme des „Nordkuriers“ 2021, dessen Anteile zuvor der Schwäbische Verlag, die „Augsburger Allgemeine“ und die „Kieler Nachrichten“ zu je gleichen Teilen gehalten hatten, legte er Personal, Buchhaltung und Callcenter zusammen und baute im Norden wie im Süden Verlagsstellen ab. Die Netto-Umsatzrendite stieg nach Branchenschätzungen auf etwa acht Prozent, was bei einem Umsatz von 250 Millionen Euro einem Nettogewinn von 20 Millionen Euro entspricht.
Prämie für Redakteure, die freiwillig gehen
Der Sparkurs dauert an: Im Juni lobte Schumacher eine Prämie für alle Redakteure und einen Teil der Verlagsmitarbeiter aus, die von sich aus kündigen und das Unternehmen bis Jahresende verlassen. Schumacher begründet den Schritt mit Kostensteigerungen der letzten zwei Jahre – auch wenn das Programm so im Nachhinein nicht nötig gewesen wäre. „Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht total wegrutschen, weil wir sonst all diese Dinge nicht finanzieren können“, sagt er. „Ich beobachte in vielen Zeitungshäusern, dass es nur noch so eine Art Notmanagement gibt und man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, Dinge wirklich auszuprobieren.“
In der Redaktion ist das Abfindungsangebot allerdings nicht als Schritt zur Sicherung der Zukunft angekommen, sondern als Schlag ins Gesicht. „Die Stimmung in der Redaktion ist sehr schlecht. Viele haben in diesem Jahr von sich aus gekündigt, auch redaktionelle Führungskräfte“, sagt Annette Vincenz, Vorsitzende des Betriebsrats. „Die Austrittsprämie empfinden manche als Signal, dass man ihre Arbeit nicht mehr wertschätze. So nach dem Motto: Je früher wir euch loswerden, desto besser. Der Betriebsrat habe sich vehement gegen die Prämie ausgesprochen. „Natürlich verlassen uns vor allem diejenigen, die die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, also die flexiblen, gut ausgebildeten und jüngeren Kollegen. Aber nicht nur. Auch langjährige Leistungsträger sind gegangen oder haben das in Kürze vor“, erklärt Vincenz. Einziger Vorteil der Aktion sei, dass das Ziel, bis Ende 2025 weitere 40 Vollzeitstellen abzubauen, wohl ohne Sozialplan und betriebsbedingte Kündigungen erreicht werde.
Verlassen haben die „Schwäbische Zeitung“ mehr als 20 Redakteure – darunter Leistungsträger wie Katja Korff als Mitglied der Chefredaktion, die baden-württembergische Landeskorrespondentin Kara Ballarin, der Online-CvD Michael Wollny, die Lindauer Lokalchefin Julia Baumann oder die Oberschwaben-Reporterin Lena Müssigmann. Schumacher spricht von „nicht auffälliger Fluktuation“.
Eine „Bühne für Rechtspopulismus“?
Die gefühlte fehlende Wertschätzung ist aber nur ein Grund dafür, dass Redakteure der „Schwäbischen Zeitung“ kündigen oder innerlich auf Distanz gehen. Sie kritisieren die neue redaktionelle Ausrichtung. Die F.A.Z. hat mit mehr als 15 Redakteuren gesprochen; sie kritisieren, dass das Blatt „mehr und mehr zu einer Bühne für Rechtspopulismus“ werde, sie bemängeln eine „kritiklose Offenheit für die AfD“ und beanstanden, dass journalistische Standards nicht eingehalten würden. Beispiele dafür seien Interviews mit dem AfD-Politiker Maximilian Krah, AfD-Ko-Chef Tino Chrupalla und dem früheren Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen; die Kolumnen des Bloggers Armin Petschner-Multari oder die Videoreihe „Aufschlag Becker“. Erschreckt hat einige Redakteure auch, dass die „Schwäbische Zeitung“ das Video über das Mannheimer Messer-Attentat am 31. Mai und damit den Moment, in dem der Polizist den tödlichen Stich erhält, ungekürzt und ohne Warnung zeigt.
Ihren Anfang genommen hat die redaktionelle Neuorientierung nach den Aussagen der Redakteure mit dem Chefredakteur Jürgen Mladek, den Schumacher im Frühjahr 2022 als Nachfolger von Hendrik Groth installierte. Schumacher und Mladek kannten sich vom „Nordkurier“. Ein Redakteur beschreibt den im Juli überraschend verstorbenen Mladek als „Aktivisten, der in Querdenkermanier alles verdreht, verbal umschifft, geleugnet und unentwegt gebohrt und verhindert hat, wenn es um Klima, AfD oder Corona ging“.
Verstärkt habe sich die Entwicklung nach den Aussagen der Redakteure, als die SV-Gruppe Ende 2022 den „Zollern-Alb-Kurier“ (ZAK) in Balingen übernahm und mit dem Kauf die in Ulm ansässige „Südwest-Presse“ verärgerte. Bis dahin hatte die Redaktion der „Schwäbischen Zeitung“ die überregionale Politikberichterstattung von der zur „Südwest-Presse“ gehörenden „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“ übernommen. Das Ulmer Verlagshaus, das den ZAK gerne selbst gekauft hätte, kündigte die Zusammenarbeit auf, worauf die „Schwäbische Zeitung“ auf die Politikberichterstattung des „Nordkuriers“ um Andreas Becker zurückgriff und Philippe Debionne neu einstellte. Debionne und Becker wollten sich auf Anfrage der F.A.Z. nicht zu dem Vorwurf äußern, dass sie in ihren Artikeln rechtspopulistische Positionen verträten. Vor Gericht klagt Debionne gerade gegen den Südwestrundfunk, der Sender hatte Informanten zitiert, die genau diese Position vertreten. Im Frühjahr stieß der frühere Chefredakteur der Onlineplattform Nius, Jan David Sutthoff, zum neuen redaktionellen Kernteam, der seitdem die Weiterentwicklung der digitalen Plattformen der SV-Gruppe verantwortet.
Hinter der SV-Gruppe steht ein Gesellschafterkreis rund um Erich Fürst von Waldburg zu Zeil und Trauchburg und den Friedrichshafener Unternehmer Andreas Gessler. Gessler und der Fürst halten jeweils 40 Prozent an der Komplementär-Gesellschaft, bei der Schumacher als Geschäftsführer der SV-Gruppe angestellt ist, beide wollten sich auf Anfrage der F.A.Z. nicht äußern. Über die Plattform Linkedin kommentiert Gessler als Unternehmer von Zeit zu Zeit politische Ereignisse und äußert Kritik an der Bundesregierung. So schrieb er über eine Rede von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Bürgerdialog zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes: „Unfassbar, wie diese Ideologie und der Hass gegen die Gesellschaft unsere Wirtschaft zerstört hat.“
„Es gibt diesen Kurswechsel nicht“
Insgesamt stehen hinter dem Unternehmen rund 20 Gesellschafter, die überwiegend sehr kleine Anteile an der Verlagsgruppe halten. Die F.A.Z. hat mit einem Teil der Gesellschafter gesprochen, der die Einschätzungen der Redakteure der „Schwäbischen Zeitung“ über den Kurs und die Sorgen des Betriebsrats über den Umgang mit den Mitarbeitern, insbesondere das mit einer Prämie versehene Kündigungsangebot, teilt.
Lutz Schumacher weist den Vorwurf, dass es bei der „Schwäbischen Zeitung“ eine neue redaktionelle Ausrichtung gebe, die sich für rechtspopulistische Themen öffnet, zurück. „Es gibt diesen angeblichen Kurswechsel nicht. Unser Angebot ist unterm Strich ganz schön ausgewogen“, sagt Schumacher. Von der Redaktion werde „aber kritisch auf eine bestimmte Art von Geschichten geguckt“, sagt er mit Blick auf die kritisierten Interviews. Es sei nicht fair, sich aus Zehntausenden Beiträgen einige wenige rauszusuchen, um damit etwas zu belegen: „Ich finde in dem gleichen Zeitraum mindestens 50 Beiträge, die aus der anderen Richtung kommen, auch keine Meisterwerke sind, in denen Themen nicht eingeordnet werden, die Redakteure schlecht nachgefragt haben und auf Narrative hereingefallen sind.“
Schumacher fordert, „dass Medien unbedingt wieder die Bandbreite der Gesellschaft besser darstellen müssen“. Da sei „ein Rutsch“ in eine bestimmte Richtung passiert. Das sei sehr gefährlich, weil die Menschen sich andere Wege suchten, wenn sie sich mit ihren Ansichten in den klassischen Medien nicht mehr wiederfinden. „Wenn ich das öffne, dann komme ich natürlich automatisch in Konfrontation mit Meinungen und Haltungen, die wahrscheinlich nicht mit der Mehrheit von Redakteuren übereinstimmen“, erklärt Schumacher. „Und ich glaube schon, dass unser Haus ein bisschen verengt war.“ Aber es ergebe keinen Sinn, die Verengung jetzt einfach nur auf die andere Seite zu setzen. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass eine rechtspopulistische Ausrichtung beim Aufbau eines loyalen Nutzerstamms in der digitalen Welt nicht weiterhelfe.
Nachfolger von Mladek als Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“ und Chef des Editorial Boards, das die vier Zeitungstitel steuert, ist seit Anfang September Gabriel Kords, bis dahin Chefredakteur des „Nordkurier“. In der Rede bei seiner Vorstellung vor den Kollegen machte Kords klar: „Ich kann keinen Rechtsruck erkennen und halte den Kurs für vernünftig im Sinne eines Mediums, das so viele Teile der Gesellschaft wie möglich erreichen will“, sagte Kords in einer virtuellen Schaltkonferenz.
„Rückkehr des Gesinnungsjournalismus“
Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erkennt bei der „Schwäbischen Zeitung“ für Regionalzeitungen typische Muster. „Wir erleben einerseits die Rückkehr des Gesinnungsjournalismus und andererseits die Ökonomisierung einzelner Artikel. Regionalzeitungen bilden eine regionale Öffentlichkeit, sie sind im Verbund mit der Kommunalpolitik eine Schule der Demokratie. Beide sind nötig zum Erlernen von zivilem Streit und substanzhaltigen Auseinandersetzungen“, sagt Pörksen. „Mit der totalen Ökonomisierung und dem Gesinnungsjournalismus verabschiedet man sich vom Diskursideal einer Polis im Kleinen.“
Die Folge: Die Qualität der Regionalmedien lasse nach, die Leserschaft überaltere, die Auflagen gingen zurück, die Zustellung gelinge nicht und über Kommunalpolitik werde nicht mehr kontinuierlich berichtet. Über Fotos von Schecküberreichungen im Lokalteil könne man schmunzeln, aber sie vermittelten, dass in einer Kommune „gemeinschaftliches Denken“ praktiziert werde, das zu „gemeinschaftlicher Verantwortung“ führe. „Wenn der lokale und regionale Journalismus von Abonnenten nicht mehr nachgefragt ist und auch ökonomisch irrelevant wird, dann dauert es nicht lange, bis der öffentliche Raum verkümmert, das zivilgesellschaftliche Engagement nachlässt und mangels medialer Kontrolle die Korruption zunimmt“, sagt Pörksen. „Am Ende wird dann Journalismus von PR-Fachleuten und Populisten simuliert.“ Das Problem des Lokaljournalismus sei die Finanzierung. Es gebe kein Modell, das dessen Finanzierung sichere. Google, Meta und Amazon verfügten über die Hälfte der weltweiten Werbeeinnahmen. „Wenn jetzt einzelne Zeitungen oder Newsportale den Weg des Gesinnungsjournalismus gehen, ist das keine gute Nachricht für die Demokratie, weil es das Ende des demokratischen Diskursideals ist.“
Politiker von CDU, Grünen, FDP und SPD beschäftigen sich schon lange mit der Frage, wie sie auf das Wegbrechen der alten Zeitungslandschaft reagieren sollen. Viele Pressesprecher und Politiker weichen in die digitale Welt aus und verbreiten über soziale Medien ihre Botschaften. Über die Wirkung dieser Kommunikation auf die demokratische Auseinandersetzung gibt es keine Studien. Klar ist: Eigentlich halten die meisten Politiker einen von unabhängigen Journalisten verfassten Bericht über den städtischen Haushalt oder über den Schwimmbadbau für unverzichtbar. Der Landtagsabgeordnete und Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) war viele Jahrzehnte Kommunalpolitiker in Ravensburg – auch als die „Schwäbische Zeitung“ 2013 ihr neues Verlagsgebäude in Innenstadtnähe bezog. Heute sorgt er sich um die Zeitung: „Ich bin kreuzunglücklich über den journalistischen Niedergang der ,Schwäbischen‘, die ja für sich bis heute beansprucht, eine Zeitung für christliche Politik und Kultur zu sein. Die rechtspopulistische Ära unter dem früheren Chefredakteur war sehr bedrohlich. Für unsere Region, die Politiker und die Wirtschaft ist es wichtig, eine starke, unabhängige, kritische Stimme mit handwerklich gutem Journalismus zu haben. Das war die ,Schwäbische‘ hier nämlich über Jahrzehnte“, sagt Lucha.
Auch für Manuel Hagel, den jungen CDU-Landesvorsitzenden, der 2026 Ministerpräsident werden möchte, ist die „Schwäbische“ die Heimatzeitung. Hagel stammt aus Ehingen und war dort lange Kommunalpolitiker. Hagel soll dem Vernehmen nach wegen des publizistischen Kurses das Gespräch mit Erich von Waldburg Zeil gesucht haben; auf fünf schriftlich gestellten Fragen zum rechtspopulistischen Kurs der Zeitung wollte Hagel der F.A.Z. nicht antworten. Er überließ das seinem Sprecher. Der sagte, die unabhängige Presse leiste einen „wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung“. Inhalte bewertete der Sprecher nicht, sagte aber: „Im Übrigen ist nicht zu übersehen, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger aus kostenfreien Quellen im Internet informieren. Gerade durch immer mehr zweifelhafte Quellen und Fake News ist ein einordnender und faktenbasierter Journalismus für unsere freiheitliche und demokratische Verfasstheit elementar.“ Das kann man als höfliche Aufforderung an die „Schwäbische“ verstehen, ihre Arbeit zu machen.
In Ravensburg lassen sich die ersten Auswirkungen der demokratieschädlichen Entwicklung, die der Medienwissenschaftler Pörksen befürchtet, bereits beobachten. Weil die „Schwäbische Zeitung“ ihre kommunalpolitische Berichterstattung zurückgefahren hat, soll von Januar 2025 an in der oberschwäbischen Stadt ein vom Oberbürgermeister verantwortetes Amtsblatt erscheinen. Auch wenn die Inhalte nicht mehr von den Redakteuren der „Schwäbischen Zeitung“ kommen, sie werden der SV-Gruppe finanziell helfen: Ein auf solche Verlautbarungsblätter spezialisiertes Tochterunternehmen soll die Produktion des Amtsblatts übernehmen.
Hinweis: Benjamin Wagener hat von 2002 bis 2012 und von 2016 bis 2022 für die „Schwäbische Zeitung“ gearbeitet.