Monday, July 22, 2024

Kamala Harris: »Sie wirkt auf das konservative Amerika wie ein rotes Tuch auf einen Stier«

DER SPIEGEL Kamala Harris: »Sie wirkt auf das konservative Amerika wie ein rotes Tuch auf einen Stier« 10 Std. • 4 Minuten Lesezeit Lob für Bidens Rückzug, aber Argwohn, ob das für die Demokraten reicht: Internationale Medien sind sich weitgehend einig über den Wechsel bei den US-Demokraten – aber nicht darüber, was das nun für Trump heißt. Kamala Harris: »Sie wirkt auf das konservative Amerika wie ein rotes Tuch auf einen Stier« Joe Biden hat sich aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurückgezogen und seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin empfohlen. Noch ist sie nicht auf dem Parteitag der Demokraten nominiert worden. Doch Medien aus aller Welt kommentieren bereits den Rückzug Bidens zum einen – und eine mögliche schwarze US-Präsidentin zum anderen. »Harris ist die große Favoritin, um aus dem Parteitag der Demokraten in Chicago nächsten Monat als Standartenträgerin hervorzugehen«, schreibt die »Washington Post« am Montag. Bidens Entscheidung zum Rückzug biete nun die Chance für einen Neustart, »nicht nur für seine Partei, sondern für die US-Politik im Allgemeinen«. Die US-Zeitung warnt aber zugleich davor, dass, auch wenn die Demokraten sich nun hinter Harris vereinen, es zugleich eine Schlammschlacht um das Vizeamt hinter ihr geben könnte. Die »Neue Zürcher Zeitung« aus der Schweiz bewertet die Nominierung von Harris durch Biden als »Weg des kleinsten Widerstandes«. Es möge am einfachsten sein, seiner Vize den Weg freizumachen, doch die Kandidatur von Kamala Harris sei nicht in Stein gemeißelt. Mit dem Parteitag der Demokraten könnten aber die Karten im Wahlkampf neu gemischt werden, so die »NZZ«. »Vor einem Monat sah es aus, als ob zwei alternde Erzfeinde nochmals gegeneinander antreten würden.« Insbesondere für die amerikanischen Wählenden der jüngeren Generation sei der Personalwechsel nun eine gute Nachricht. In der britischen Zeitung »The Guardian« wird der Rückzug Bidens ebenfalls positiv aufgenommen. Hätte Biden an der Kandidatur festgehalten, wäre er »als der Mann in Erinnerung geblieben, der 2020 die Demokratie rettete, nur um sie 2024 auf dem Altar seines eigenen Ehrgeizes zu opfern«. Nun könne er für legislative Erfolge in Erinnerung bleiben – und dafür, »dass er seiner Partei eine Chance gegeben hat, Trump erneut zu schlagen.« Für die britische Konkurrenzzeitung »The Telegraph« kommt der Rückzug Bidens hingegen zu spät. Die Entscheidung hätte schon vor Monaten getroffen werden müssen: »Das hätte den Demokraten Zeit verschafft, einen Kandidaten zu bestimmen, der es bei den Wahlen im November mit Trump aufnehmen könnte. Es gereicht der Regierung und der Demokratischen Partei nicht zur Ehre, dass diese Entscheidung so spät gefallen ist.« »Im US-Wahlkampf wird es tatsächlich noch einmal richtig spannend« In der niederländischen Zeitung »De Telegraaf« sieht man den möglichen Wechsel kritischer. »Harris wirkt auf das konservative Amerika wie ein rotes Tuch auf einen Stier«, so die Zeitung. Die Republikaner könnten nun umso mehr ihr Lager mobilisieren. »In einem Land, in dem normalerweise die Hälfte der Wähler zu Hause bleibt, kann das den Unterschied ausmachen.« Die in Dublin erscheinende »Irish Times« lobt die schwere Entscheidung Bidens, sich zurückzuziehen. »Die Aussicht auf eine zweite Trump-Präsidentschaft stellt eine echte Gefahr für die amerikanische Demokratie und ihre internationalen Verbündeten dar«, schreibt die Zeitung und Biden sei nun mal der Demokrat gewesen, der Trump geschlagen hatte. »Bidens Rückzug ermöglicht es den Demokraten, sich in einem Wahlkampf neu zu formieren, den sie anscheinend immer noch gewinnen könnten.« Die »Badische Zeitung« aus Deutschland hält Bidens Rückzug für »überfällig«. »Mit einem jüngeren und diverseren Team als die Konkurrenz können die Demokraten nun punkten«, so die Zeitung. Schon jetzt würden die wütenden Reaktionen führender Republikaner beweisen, dass ihnen »ein angeschlagener, greiser Joe Biden« als Wunschgegner lieber gewesen wäre. »Dieses Kalkül geht nun nicht auf. Im US-Wahlkampf wird es tatsächlich noch einmal richtig spannend.« Die rechtsliberale dänische Tageszeitung »Jyllands-Posten« nennt den langsamen Rückzug Bidens einen »Verkehrsunfall in Zeitlupe«. Die Demokraten hätten es jahrelang versäumt, einen konstruktiven Vorschlag für die Zukunft zu unterbreiten. Die Partei wirke »flügellahm und orientierungslos – und das schon seit Langem«. Harris sieht der Kommentar nicht gesetzt: »Es wird spannend sein, zu sehen, mit wem die Demokratische Partei nun zur Wahl gehen wird. Wird es Kamala Harris, oder ziehen sie ein Kaninchen aus dem Hut? Zumindest darf man glauben, dass sie nicht wieder auf die Mottenkiste zurückgreifen werden.« Die italienische Zeitung »Corriere della Sera« zweifelt an, ob der Wechsel ausreicht, Trump bleibe schwer zu schlagen. »Aber jetzt, da Biden in den Ruhestand tritt, sieht auch er plötzlich sehr alt aus und manchmal auch verwirrt«, so die Zeitung. »Für seine eigenen Leute ist er mehr als ein charismatischer Führer, bis hin zum Boten des Allmächtigen. Aber die Gesetze der Politik sind unbarmherzig, und an der nächsten Ecke lauert stets der Verrat.« Der »Boston Globe« attestiert Biden eine erfolgreiche Amtszeit. »Künftige Generationen werden sich an ihn erinnern, dass er nach den turbulenten Jahren der Trump-Regierung den Anstand ins Weiße Haus zurückbrachte«, so die Zeitung. Sein Rückzug helfe nun, dieses Vermächtnis zu sichern. »Indem er aus dem Rennen ausstieg, gibt er seinen demokratischen Parteifreunden eine Kampfgelegenheit, um das Weiße Haus zu sichern, und den früheren Präsidenten Donald Trump, der versuchen würde, alles, was Biden erreicht hat, rückgängig zu machen, an der Rückkehr zur Macht zu hindern.« Zu einer möglichen Präsidentschaftskandidatur von Harris meint die belgische Zeitung »De Tijd«, Harris habe als Vizepräsidentin keinen großen Eindruck gemacht und sei ist nicht besonders beliebt. »Aber sie ist die beste Chance für die Demokraten, noch aus der Misere herauszukommen, in die sie sich selbst gebracht haben, indem sie auf Joe Biden setzten.« Jemanden aus der zweiten Reihe dürfte ein noch größeres Risiko darstellen. »Harris kann nun das tun, was Biden nicht schaffte: die Bilanz seiner Präsidentschaft hervorzuheben.« Insgesamt habe Biden Trumps Bilanz bei Weitem übertroffen.