Sunday, July 21, 2024
Joe Biden zieht Kandidatur zurück - Was passiert jetzt?
DW Deutsch
Joe Biden zieht Kandidatur zurück - Was passiert jetzt?
Carla Bleiker • 1 Std. • 4 Minuten Lesezeit
US-Präsident Joe Biden wird nicht zur Wahl am 5. November antreten. Wie werden die Demokraten nun ihren Kandidaten nominieren? Welche Fallstricke und Unwägbarkeiten gibt es?
Joe Biden schnitt bei der TV-Debatte Ende Juni nicht gut ab - Kritik an seinem Alter und seiner Amtsfähigkeit wuchs
Wochenlang wies er Kritik an seinem Alter zurück und erklärte, er sei trotz seiner 81 Jahre fit und nicht zu alt für eine mögliche zweite Amtszeit im Weißen Haus. Doch nun gab US-Präsident Joe Biden bekannt, dass er tatsächlich nicht erneut für die Demokraten kandidieren werde. Immer lauter waren die Stimmen geworden, die ihn zum Rückzug aufforderten. Auslöser war sein schlechtes Abschneiden bei der ersten TV-Debatte am 27. Juni zwischen ihm und dem republikanischen Kandidaten Donald Trump.
Jetzt sagte der Präsident, er wolle sich nicht um eine zweite Amtszeit bemühen. Das bedeutet: Die Demokraten benötigen einen neuen Präsidentschaftskandidaten oder eine Kandidatin - dreieinhalb Monate vor der Wahl am 5. November.
Was passiert normalerweise beim Parteitag der Demokraten?
Im ersten Halbjahr nahmen US-Wähler in vielen Bundesstaaten an Vorwahlen teil. Das ist der Prozess, durch den die Demokratische und die Republikanische Partei die Person bestimmen, die sie bei der Präsidentschaftswahl vertritt. Die Person, die in einem Bundesstaat die meisten Stimmen erhält, gewinnt die Stimmen der Delegierten des Staates. Wie viele Delegierte jeden Staat vertreten, hängt von der Einwohnerzahl ab. In Kalifornien mit seinen knapp 40 Millionen Einwohnern zu gewinnen, beschert den Kandidaten bei den Demokraten 424 Delegiertenstimmen, wie der Delegiertentracker der Nachrichtenagentur AP zeigt. Vermont, wo nicht einmal 700.000 Menschen leben, steuert 16 Delegierte bei.
Bei den Vorwahlen, hier im März im Chicago, bestimmen die Parteien, wer voraussichtlich ihr Kandidat oder ihre Kandidatin für die US-Präsidentschaftswahl im November wird
Beim Parteitag der Demokraten im August, der "Democratic National Convention", kommen die Delegierten der Demokraten zusammen und stimmen über den Präsidentschaftskandidaten ab. Bei den Vorwahlen gewann Biden die große Mehrheit der Delegierten: fast 3900. Nur ungefähr 40 Delegierte sind entweder ungebunden oder gingen an Vorwahl-Kandidaten, die keine Chance hatten zu gewinnen. Laut den Parteiregularien wären diese 3900 Delegierten normalerweise verpflichtet, für Biden zu stimmen.
Mit seinem Rückzug sind diese Delegierten nicht mehr an ihn gebunden. Sie sind frei, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie in der sogenannten "Open Convention", dem offenen Parteitag stimmen.
Was passiert bei der "Open Convention"?
Vor dem Parteitag in Chicago vom 19. bis 22. August wird die Parteiführung versuchen, so schnell wie möglich einen Kandidaten zu finden, dem oder der sie zutrauen, die Partei zu vereinen. Diese Person muss in der Lage sein, Wähler quer durch das breite ideologische Spektrum der Demokratischen Partei anzusprechen und sie dazu bewegen, im November wählen zu gehen. Nur wenn der Kandidat oder die Kandidatin genug US-Amerikaner dazu motivieren kann, hat die Partei eine Chance, Donald Trump zu besiegen.
Die von der Parteiführung ausgewählte Person und deren Kandidat für die Vizepräsidentschaft werden um die Stimmen der Delegierten in Chicago buhlen - aber jeder andere kann das auch. Genau das ist ein "offener Parteitag". Wenn jemand glaubt, besser für die Präsidentschaft geeignet zu sein als der oder die Kandidatin der Parteiführung, kann diese Person ebenso versuchen, so viele Delegierte wie möglich zu gewinnen. Die einzige Voraussetzung: Wer sich bewerben will, muss die Unterschriften von 600 Delegierten sammeln.
Beim Nominierungsparteitag küren die Demokraten offiziell den Kandidaten für die Präsidentschaftswahl – 2016 war es Hillary Clinton
Kamala Harris ist zwar eine der wahrscheinlichen Optionen für die neue Parteikandidatur. Aber sie wird nicht automatisch übernehmen, nur weil sie Bidens Vizepräsidentin ist. Wenn ein Präsident während seiner Amtszeit amtsunfähig ist, übernimmt der Vizepräsident. Die Regel gilt aber nicht, wenn es darum geht Kandidat zu werden, wenn der Präsident entschieden hat, sich nicht erneut zur Wahl zu stellen.
Zurück zum Parteitag: Laut dem AP-Tracker gibt es 3939 Delegierte, die in den Vorwahlen bestimmt wurden. Sie alle wählen in der ersten Runde. Wenn ein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, ist damit klar, wer am 5. November gegen den republikanischen Kandidaten antreten wird.
Was ist eine "Brokered Convention"?
Wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen in der ersten Runde erhält, wird der Parteitag zu einer sogenannten Brokered Convention. Das Wort "broker" lässt sich mit vermitteln oder aushandeln übersetzen.
Nun werden die Führung der Demokraten, namhafte Parteigrößen und die potenziellen Kandidaten mit den Delegierten sprechen und versuchen, sie für ihre Sache zu gewinnen. An diesem Punkt können sich neue Bündnisse herausbilden. Zum Beispiel könnte ein Wettbewerber versuchen, einen Rivalen zu überzeugen, nicht mehr als Gegner anzutreten, sondern sein Vizepräsidentschaftskandidat zu werden, auch "Running Mate" genannt.
Vor der letzten Wahl 2020 konnte der Nominierungsparteitag der Demokraten wegen der Corona-Pandemie nur überwiegend digital und draußen stattfinden
Wie das aussehen kann, zeigen die Macher der US-Serien "The West Wing" und "House of Cards". Einige Folgen erzählen von den Dramen, die sich hinter den Kulissen in solchen Situationen abspielen können. In der Realität kam es bei den Demokraten zuletzt im Jahr 1952 zu einer "Brokered Convention".
Nun wird wieder gewählt. Jetzt kommt eine Gruppe ins Spiel, die in der ersten Runde noch nicht wählen durfte: die Superdelegierten oder auch nicht verpflichteten Delegierten. Laut Ballotpedia, einem Onlinelexikon über US-Politik, gibt es bei den Demokraten davon 739. Sie sind gewählte Mitglieder der Parteiführung, Kongressmitglieder, Gouverneure und bedeutende Parteimitglieder. Sie sind niemals einem Kandidaten verpflichtet und können ab Runde zwei wählen, wen sie möchten. Sie sind nicht zu verwechseln mit den wenigen Delegierten, die in den Vorwahlen bestimmt wurden und auch ungebunden sind.
Die Abstimmungen dauern so lange, bis ein Kandidat mehr als 50 Prozent aller Delegiertenstimmen erhält. Egal, wie viele Runden es dafür braucht. Am Ende ist dann klar, wer Joe Biden als Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2024 ersetzt.