Wednesday, November 9, 2022
Zwischenwahlen in den USA: Sie rütteln am Fundament der USA
Zwischenwahlen in den USA: Sie rütteln am Fundament der USA
Rieke Havertz - Vor 57 Min.
Alles doch nicht so dramatisch nach diesen Zwischenwahlen? Nicht ganz. Zahlreiche Wahlleugner ziehen in den Kongress ein. Die rechte Bewegung bedroht die Demokratie.
J.D. Vance hat die Senatswahl in Ohio für die Republikaner gewonnen.
Noch ist nicht jede Entscheidung gefallen, sind nicht alle Stimmen ausgezählt und der "rote Tsunami" ist wohl nicht mehr als eine sanfte Welle. Aber der Erfolg von J. D. Vance und vielen weiteren extremen Kandidaten der Republikaner zeigt unabhängig vom Endergebnis dieser Midterms, dass sich das politische Fundament der Vereinigten Staaten nachhaltig verschoben hat.
Beide Parteien hatten im Wahlkampf eine zentrale Botschaft: Es gehe um die Rettung Amerikas. Nur wollen nicht mehr beide politische Lager die Demokratie retten. Viele Republikaner sehen sie allenfalls noch als schmückendes Label, aber ansonsten scheren sie sich nicht darum, was eine funktionierende Demokratie ausmacht: Wahlergebnisse zu akzeptieren etwa. Und einige von denen, die so denken, kommen jetzt in den Kongress.
Schon vor den Wahlen äußerten die Bürgerinnen und Bürger in Umfragen große Sorgen über den Zustand der Demokratie. Vier Jahre Präsidentschaft von Donald Trump und ein gewalttätiger Mob vor dem Kapitol am 6. Januar 2021 haben das Land geprägt. Über die Resilienz der amerikanischen Demokratie wird seitdem viel debattiert. Für die Republikaner war das offensichtlich nicht wahlentscheidend. Sie sorgt nicht etwa der Angriff auf eine demokratische Institution, sondern eine übergriffige linke Regierung, der angebliche Deep State.
Der in den Senat gewählte Trump-Unterstützer J. D. Vance und andere mögen auf den ersten Eindruck nicht Furcht einflößend und radikal sein wie etwa die rechtsradikale Verschwörungsanhängerin Marjorie Taylor Greene – die ihren Sitz im Repräsentantenhaus verteidigt hat –, aber sie sind nicht weniger ruchlos. Sie verkaufen ihren Anhängern ihre Ruchlosigkeit nur als genau das, was ihr Amerika braucht, um gerettet zu werden. Ron DeSantis, der mit deutlichem Vorsprung als Gouverneur von Florida wiedergewählt wurde, zeigt, wie es geht. Er redet von den Gefahren einer radikalen Linken, der Krise an der Grenze, gefährdeten Wahlen, woker Indoktrination an Schulen, Fake-News-Medien und gleichzeitig darüber, wie er hart arbeitenden Menschen in den USA wieder zu einem amerikanischen Traum verhelfen will. Es sind Schlagworte, die überall im Land zu hören sind.
Für die Demokraten hingegen bedeutet die Rettung ihres Amerikas die Rettung der Demokratie. Nur wie eine Demokratie vor dem Untergang bewahren, wenn die eigenen Anhänger die Botschaft zwar vernehmen, aber nicht entsprechend handeln? Bei der Präsidentschaftswahl 2020 hat Donald Trump als Feindbild gezogen. Auch in den vergangenen Wochen haben Joe Biden und seine Partei gewarnt. Und damit vielleicht das Schlimmste verhindert, wenn man nur den derzeitigen Stand der Ergebnisse betrachtet. Es hat aber nicht gereicht, um eine "Demokratiewelle" auszulösen.
Amerikanische Politik ist anstrengend geworden, frustrierend, ein ewiger Kampf. Da kann es verführerisch sein, sich in den eigenen Alltag zurückzuziehen, zu hoffen, dass es doch noch mal alles gut gehen wird, so wie es doch mit Biden immerhin so gut gegangen ist. Dass also wieder ein Demokrat Präsident ist und die Schäden in Grenzen hält. Nur, so richtig geht es nicht mehr gut.
Trump steht kurz vor einer erneuten Präsidentschaftskandidatur. Damit würde er seine Macht über die Republikanische Partei festigen. Und die Gefahr ist real, dass die demokratischen Institutionen dieser rechten Bewegung nicht mehr standhalten, weil das Extreme schlimmstenfalls nicht mehr im Weißen Haus sitzen würde. Die Extremisten sitzen nun im Senat, im Repräsentantenhaus, in wichtigen Ämtern in den Bundesstaaten. Sie mögen noch nicht die Mehrheit haben, aber sie verfügen oftmals über die Kontrolle der Gremien und Ämter, die sie ablehnen. Und haben damit eine größere und einflussreichere Plattform, von der sie ihre Falschinformationen verbreiten und so das Misstrauen der Bürger in ebendiese demokratischen Institutionen weiter erhöhen können.
Es ist dann nur ein kleiner Schritt, das schmückende Label Demokratie einfach abzustreifen, weil es ja auch die eigenen Wähler nicht mehr brauchen. Und dann könnten bewaffnete Aufständische vor dem Kapitol und gewaltbereite Einzeltäter, die politische Gegner angreifen, auch ganz offen als konsequente Fortsetzung dieser Rettung betrachtet werden. Nicht alle Konservativen in den Vereinigten Staaten wollen diesen Weg gehen. Nur verlieren die Gemäßigten mehr und mehr ihren Platz in der Republikanischen Partei.
Natürlich sind die USA noch nicht verloren. Die anderen Stimmen gibt es noch. Sie wurden in vielen Rennen dieser Midterms gehört. Doch um die amerikanische Demokratie zu retten, darf die Antwort nicht länger nur lauten, zu etwas zurückzukehren, was in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Was sich die Gründerväter einst erdachten, funktioniert für die USA heute nicht mehr. Das politische System muss sich grundlegend verändern, um die demokratischen Prozesse zu erhalten. Etwa über ein bundesweit geltendes Gesetz, das Wählerrechte schützt. Oder über die zeitliche Begrenzung von Richterposten am Supreme Court, um das Gericht wieder unabhängiger zu machen. Dafür jedoch braucht es deutliche, parteiübergreifende Mehrheiten, die das Land schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat.
Die bange Frage nach der Stabilität der US-amerikanischen Demokratie ist schon lange keine theoretische mehr, sie ist drängender als je zuvor. Und niemand sollte sich mit den Bildern von einem demokratischen Präsidenten im Weißen Haus, einer möglichen demokratischen Mehrheit im Senat oder dem ein oder anderen extremen Kandidaten, der es dieses Mal nicht geschafft hat, beruhigen lassen. Nach diesen Wahlen kann es keine Ruhe mehr geben.