Monday, November 7, 2022

Meine Tage in der Vodafone-Hölle

WELT Meine Tage in der Vodafone-Hölle Peter Schneider - Gestern um 10:00 Offener Brief an die Geschäftsleitung der Vodafone GmbH Schriftsteller Peter Schneider Sehr geehrte Damen und Herren, seit dem 24. 10. 2022 haben ich und mein Nachbar, mit dem ich das Schicksal teile, Berliner Vodafone-Kunde zu sein, keinen Zugang zum Internet. Mein Netztelefon gestattet mir keinen Anruf, mein Handy funktioniert nur noch außerhalb meiner Wohnung. Von anderen Betroffenen in meiner Umgebung – Postleitzahl 10707 – höre ich, es handele sich um eine größere Störung: Reparatur- oder Verbesserungsarbeiten an den Kabeln hätten zu Total-Ausfällen bei bereits funktionierenden Anschlüssen geführt. So etwas kann passieren. Was keinesfalls passieren darf, möchte ich Ihnen hiermit zur Kenntnis bringen. Ich glaube, Sie können sich gar nicht vorstellen, was ein Kunde Ihres Unternehmens durchmachen muss, der einen Schaden auch nur zu melden versucht. Wenn er nicht gleich auf die Ansage trifft, er solle zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal anrufen, hört er nach endloser Wartezeit eine Computerstimme, die ihm versichert, man habe anhand der Telefonnummer des Anrufers zwei Verträge gefunden. Um was für eine Störung es sich denn handele, fragt die Stimme. Erstaunt über die rasche Identifizierung bejaht der Anrufende den Punkt „Internet-Störung“ und fasst neue Hoffnung. Es folgt das Versprechen, man werde den Anruf jetzt gleich an einen Mitarbeiter oder Experten weiterleiten. Aber vorher solle der Anrufer noch rasch sein Geburtsdatum eingeben. Wann ich geboren bin Ich bin dieser Aufforderung immer wieder gefolgt, nur um zu erfahren, dass mein Geburtsdatum nicht den mit meinem Namen verbundenen Daten entspreche, und wurde danach von der Computerstimme grußlos allein gelassen. Nach unzähligen Anrufen wurde ich am dritten Tag meiner Bemühungen endlich mit einer menschlichen Stimme verbunden – ein Privileg, das mir inzwischen wie eine Gnade vorkam, vergleichbar einer Zusage für eine Audienz beim Papst. Der wahrscheinlich eben erst angelernte Experte forderte mich auf, alle Angaben, die ich bereits der Computerstimme anvertraut hatte, zu wiederholen und bat mich dann, in der Leitung zu bleiben, ich solle auf keinen Fall auflegen. Also wartete ich und wartete, bis ich schließlich etwas hörte – es war aber nicht die Stimme meines Experten, sondern eine Computerstimme. Sie fragte mich unumwunden, wie ich das Gespräch mit dem Experten bewerten würde, ob das Problem gelöst sei und ob ich Vodafone meinen Freunden empfehlen würde. An einem Sonntag hatte ich noch einmal das Vergnügen, auf eine menschliche Stimme zu stoßen. Diesmal kam ein Gespräch zustande, der Experte bestätigte meine Meldung, verfasste darüber ein Protokoll und sicherte mir eine Gutschrift von 500 MB auf mein Handy zu. So hatte ich nach unendlich vielen Versuchen endlich den 1. Schritt zur Beseitigung des Schadens absolviert: die Meldung des Schadens. Als ich den Experten fragte, wie lange es nun noch bis zur Behebung des Schadens dauere, sprach er von acht bis 24 Stunden. Mit welcher Wahrscheinlichkeit dies geschehen werde, fragte ich. Ob es statt 24 Stunden etwa auch 24 Tage dauern könne? Da verwies er mich auf die Tücken der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Manche Leute glaubten ja auch, der Planet könne jederzeit von einem Meteoriten getroffen werden. „Experten“, die lügen müssen? Am selben Tag meldete sich mein Nachbar mit Neuigkeiten: Er habe soeben am Telefon endlich eine menschliche Stimme erreicht. Man habe ihm zugesagt, der Schaden werde in zwei bis acht Stunden behoben sein. Das alles ist nun schon wieder Tage her. Der Power-Button an meiner Fritzbox straft mit seinem Blinken alle bisherigen Zusagen Lügen. Und ich fürchte, das wird er noch lange tun. Apropos Lügen: Warum weisen Sie, sehr geehrte Damen und Herren aus der Geschäftsleitung, Ihre Mitarbeiter nicht an, den Kunden realistische Zeiträume für die Schadensbehebung zu nennen? Wollen Sie damit verhindern, dass sich die Kunden einen anderen Anbieter suchen, weil diese Kunden dank Ihrer falschen Versprechen immer noch auf eine rasche Problemlösung hoffen? Kann es sein, dass Sie Ihre „Experten“ regelrecht zum Lügen anhalten? Und warum muten Sie Ihren Kunden zu, wegen einer Schadensmeldung mehrere Stunden am Tag in der Vorhölle der Warteschleife zu verbringen – eine Zeit übrigens, in der die Kunden Ihr Unternehmen immer noch für eine Leistung bezahlen, die es nicht mehr erbringt? Für Ihr Unternehmen mag dieses Verfahren eine Ersparnis sein; für Kunden, die keine masochistischen Neigungen haben, ist es ein Grund zum Davonlaufen. Mit freundlichen Grüßen Peter Schneider