Wednesday, August 10, 2022

KOMMENTAR - Ein vergleichsweise läppischer Fall wird Trump gefährlich

Neue Zürcher Zeitung Deutschland KOMMENTAR - Ein vergleichsweise läppischer Fall wird Trump gefährlich Meret Baumann - Gestern um 14:34 Trumps sorgloser Umgang mit teilweise vertraulichen Dokumenten war bekannt. Möglicherweise hat er sich sogar strafbar gemacht Donald Trump hatte einen fragwürdigen Umgang mit Akten. Regelmässig zerriss er wichtige Dokumente, so dass seine Mitarbeiter sie mühselig wieder zusammenkleben mussten, wie Medien schon vor Jahren berichteten. 15 Schachteln mit teilweise vertraulichem Material nahm er bei seinem Auszug aus dem Weissen Haus einfach mit nach Florida. Erst nach langen Verhandlungen mit seinen Anwälten gelangten sie im Januar ins Nationalarchiv, wo laut Gesetz alle Unterlagen im Zusammenhang mit der Ausübung des Präsidentenamts verwahrt werden müssen. Bekannt war auch, dass er Papierfetzen manchmal die Toilette hinunterspülte. Just am Montag tauchten erstmals Fotos dieser Marotte auf: Schnipsel in einer WC-Schüssel, beschriftet mit dickem schwarzem Filzstift, mit dem Trump auch Gesetze zu unterzeichnen pflegte. Am gleichen Tag durchsuchten FBI-Beamte die Räumlichkeiten von Mar-a-Lago, dem Anwesen des ehemaligen Präsidenten in Florida. Die Razzia war offenbar durch den Verdacht begründet, dass sich dort nach wie vor gesetzeswidrig Regierungsdokumente befinden. Niemand steht über dem Gesetz Das ist ein präzedenzloser und heikler Schritt. Nie zuvor in der langen Geschichte der amerikanischen Demokratie waren Ermittler derart in den Privatbereich eines amtierenden oder ehemaligen Präsidenten eingedrungen. Trumps Anhänger haben sogar recht, wenn sie darauf hinweisen, dass ein solches Vorgehen an Bananenrepubliken erinnert. Nehmen politisch kontrollierte Strafverfolgungsbehörden einen Vertreter des gegnerischen Lagers ins Visier, entsteht immer der Anschein, man wolle ihn damit ausschalten – noch dazu, wenn es sich wie im Fall Trumps um den nach wie vor aussichtsreichsten Rivalen im nächsten Präsidentschaftsrennen handelt. Gerade vor dem Hintergrund der tiefen politischen Spaltung der USA schafft das einen problematischen Präzedenzfall. Diverse Republikaner haben bereits angekündigt, sich dafür zu rächen, wenn sie zurück an der Macht sind. Ein Amerika, in dem eine politisch motivierte Justiz willkürlich Gegner verfolgt, kann und will man sich nicht vorstellen. Anhänger des ehemaligen Präsidenten demonstrieren vor dessen Anwesen in Florida gegen die Durchsuchung. Gleichzeitig gehört es zum Gründungsmythos des im Kampf gegen die britischen Monarchen entstandenen Landes, dass niemand über dem Gesetz steht. Während etwa wegen des gewaltsamen Sturms aufs Capitol mittlerweile gegen über 800 Personen Klage erhoben wurde, ist Trump als Anstifter der Attacke strafrechtlich noch ungeschoren geblieben. Das hat Justizminister Merrick Garland, der solche Ermittlungen bewilligen muss, viel Kritik eingebracht. Aus Angst vor den politischen Konsequenzen fasse er den ehemaligen Präsidenten mit Samthandschuhen an und lasse damit zu, dass ein solcher Umsturzversuch als legitim angesehen werde. Diese Zurückhaltung Garlands spricht dafür, dass er auch im Streit um angeblich unterschlagene Dokumente nicht leichtfertig handelt. Der Justizminister war zweifellos über die Razzia in Mar-a-Lago informiert, ebenso wie der von Trump selbst eingesetzte FBI-Direktor Christopher Wray. Die Durchsuchung musste zudem gerichtlich bewilligt werden. In diesem politisch aufgeladenen Klima ist sie nur zu rechtfertigen, wenn ein klarer Verdacht vorliegt – ob dem so ist, weiss man noch nicht. Die Republikaner könnten mehr profitieren als die Demokraten Angesichts der turbulenten Amtszeit Trumps mit Lügen, Korruptionsvorwürfen und am Ende einem gewaltsamen Aufstand erscheint der Fall von mutmasslich unrechtmässig aufbewahrtem Material unerheblich, ja geradezu läppisch. Doch anders als bei den im Zusammenhang mit dem 6. Januar 2021 erhobenen Vorwürfen besteht ein gesetzlich glasklar formulierter Straftatbestand, und ob er erfüllt ist, dürfte viel einfacher zu klären sein. Es ist deshalb vernünftig, die Ermittlungen dazu voranzutreiben. Die Folgen sind allerdings schwerwiegend. Abgesehen von einer weiteren Vergiftung der politischen Stimmung droht den Behörden ein Debakel, sollten sich die Anschuldigungen gegen Trump als haltlos erweisen. Erhärten sie sich dagegen, könnte erstmals ein Ex-Präsident zu einer Strafe verurteilt werden. Das würde ihm in der Auseinandersetzung um eine weitere Kandidatur schaden, möglicherweise verunmöglicht es sie sogar. Selbst bei den Republikanern nähmen dies einige mit Erleichterung zur Kenntnis.