Saturday, May 6, 2023

Krönung Charles III.: Dicke Bohnen und Spinat

Frankfurter Allgemeine Zeitung Krönung Charles III.: Dicke Bohnen und Spinat Artikel von Johannes Leithäuser • Vor 50 Min. Warmessen für die Krönung: Das Große Picknick in der Londoner Innenstadt soll unter den Besuchern den „Spirit“ für den großen Tag verbreiten. Als Erste feiern die, die mit der Krönung wenig am Hut haben: Immobilienentwickler, Ladenbesitzer, Imbissköche haben schon am vergangenen Mittwoch in einer Gasse der Londoner City Tische und Bänke auf die Straße gestellt, um die Angestellten aus den Bürotürmen ringsum, die sonst ihr Pausensandwich hastig auf der Parkbank verspeisen, zu einem längeren Lunch zu bewegen. Ein Londoner Luxushotel verloste Gutscheine für ein Mittagspicknick; die glücklichen Gewinner sitzen nun in der Gartenanlage nebenan um eine frisch bepflanzte grüne Krone aus Holz auf dem Rasen und fingern vorsichtig Himbeertörtchen und Miniburger von den verschenkten Papp-Etageren herunter. Das Krönungsessen: Quiche mit Spinat und dicken Bohnen. Viele Londoner Hotels werben seit Tagen mit Coronation-Afternoon-Teas; wer anderen Durst hat, kann an der Bar des Dorchester einen „Sovereign Martini“ bestellen. An der langen Tafel im Büroviertel teilen sich drei Angestellte eines Architekturbüros eine Flasche Weißwein und prosten sich zu. Auf den König? Nein, auf die Kollegen. „Das mit der Krönung ist bloß ein Vorwand“ sagt einer. Auch andere machen Geschäfte: Die Kaufhauskette Marks und Spencer, selbst eine Art historisches Inventar der Britischen Inseln, bietet schon wochenlang in ihrer Lebensmittelabteilung eine „Krönungssauce“ an. Es ist eine Art gelbfarbiges Currydressing, das, so steht es auf der Flasche, „gut zu Hühnchen und Sandwiches“ gereicht werden kann. Das zielt auf das Gedächtnis der Hausfrauen der Nation, die vor 70 Jahren, zur Krönung Elisabeth II., mit dem „Poulet Reine Elizabeth“ überrascht wurden – es feierte als „Coronation Chicken“ einen andauernden kulinarischen Erfolg. Es wird eine Weile dauern Vorbereitungen zur Prozession des Königs (King´s Procession) an der Mall, entlang des St. James Parks zwischen Buckingham Palace und Whitehall in London am Abend des 4. Mai. Leider passt die Sauce weniger gut zum aktuellen, vom Buckingham-Palast präsentierten Krönungsessen, einer Quiche mit Spinat und dicken Bohnen. Der Palast verteidigt die offizielle Speise gegen allerlei Naserümpfen, vor allem aus konservativen Kreisen, mit der Begründung, der Gemüsekuchen habe so vielseitige Eigenschaften: Man könne ihn kalt oder heiß verzehren, er sei gut unter mehreren Essern aufzuteilen, nehme Rücksicht auf Vegetarier und manche Lebensmittelallergien, sei auch nicht schwer zu backen und benötige keine teuren oder schwer zu beschaffenden Zutaten. Die „Crown of Queen Mary“: Künftig wird sie Königin Camilla tragen. In mancher Hinsicht symbolisiert die Quiche damit das gesamte Krönungsspektakel. Das soll nach dem unbedingten Willen des Veranstalters so vielseitig und einfach wirken, dass sich eine möglichst große Zahl von Teilnehmern und Zuschauern angesprochen und gesehen fühlt. Der zeremonielle Moment ist ein Akt der Selbstvergewisserung der Nation einerseits und andererseits auch ein Beliebtheitstest für das Ansehen dieser Nation in der Welt. Eine Schlussfolgerung von Charles III. lautete, die Feier müsse kleiner ausfallen als die seiner Mutter im Jahre 1953. Damals erholte sich Großbritannien unter Schwierigkeiten von den Lasten des Zweiten Weltkrieges, während der Zerfall des Empires schon begonnen hatte. Da bot die Krönung einer jungen Königin die Gelegenheit, eine selbstbewusste Zukunft zu demonstrieren. Diese Botschaft kann Charles kaum erneuern. Also wird es bescheidener zugehen und ziviler. Statt mehr als 8000 Gästen in der Abtei – die Kirche war wegen des Aufbaus zusätzlicher Tribünen im Innern monatelang gesperrt – sind nun bloß 2500 geladen. Die Zeremonie wird um ein Drittel kürzer sein. Die Krönungsprozession von der Abtei zum Palast führt nicht mehr in großem Bogen durch das Londoner West End über Piccadilly, Oxford und Regent Street, sondern nimmt den kürzesten Weg. Die goldene Kutsche bei einer nächtlichen Übung der Krönungszeremonie Der Kern des Rituals und seine Abfolge bleiben aber so, wie es 39 englische Könige und Königinnen vor Charles III. erlebt haben: zuerst die Präsentation des neuen Monarchen durch den Erzbischof von Canterbury, dann der weltliche und der geistliche Eid, gefolgt von der Salbung, der eigentlichen Krönung und der Huldigung. Das Zeremoniell zieht sich eine Weile hin, weil der König im Verlauf erst die Kleidung und dann auch die Krone einmal wechseln muss und weil anschließend Königin Camilla ihrerseits ähnliche, aber schlichtere Rituale absolviert, ohne eigene Huldigung. Anzug statt Roben und Ornate? Zwei Ideen, die der mittelalterlichen höfischen Handlung eine zeitgemäße Anmutung geben sollten, erzeugten mehr Protest und Kopfschütteln als Beifall. Ein Wunsch des Königs lautete, die erblichen Peers des Vereinigten Königreiches, die zum Krönungsakt geladen sind, sollten doch auf ihre historischen Roben und Ornate verzichten und lieber im Anzug kommen. Das kam im Hochadel schlecht an. Viele Herzöge, Grafen und Barone, die seit dem 15. Jahrhundert über hermelinbesetzte Samtmäntel für diesen speziellen Anlass verfügen, mochten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sie zum ersten Mal seit sieben Jahrzehnten aus dem Schrank zu holen. Der „Daily Telegraph“, der unter den Londoner Zeitungen sein Ohr am dichtesten ans Königshaus hält, wusste aus „königlicher Quelle“ zu berichten, ursprünglich habe die Sorge bestanden, dass nicht jedes Mitglied der Adelsriege über den verlangten Pelz verfüge. Diesem Einwand setzte das Gesellschaftsmagazin „Tatler“, das an den Sorgen der höchsten Kreise gleichfalls großen Anteil nimmt, die Mitteilung entgegen, bei Ede & Ravenscroft, dem ältesten Schneider Londons, werde auch für neue Roben Maß genommen; die Firma habe sie ja schon für die letzten zwölf Krönungen geschneidert. Der „Tatler“ fand überdies heraus, dass der achte Earl Carnarvon, der ein Patensohn der verstorbenen Königin ist und jenes Schloss bewohnt, das Schauplatz der Fernsehserie „Downton Abbey“ war, gar keine Einladung zur Krönungszeremonie erhalten hat – was er mit einem sportlichen „man kann halt nicht überall dabei sein“ kommentiert haben soll. Aufmerksamkeit für Aktivisten Der stark zusammengestrichenen Einladungsliste fielen auch der Duke of Rutland, dessen Großvater bei der vorletzten Krönung (Georg VI.) noch das Szepter der Königin tragen durfte, und der Duke of Somerset zum Opfer, der dem zweitältesten Herzogshaus in England vorsteht. Ihre Plätze im Kirchengestühl nehmen nun Abgesandte von Wohltätigkeitsinitiativen und ehrenamtlich Tätige ein, die der Kulisse in der Kirche eine gesellschaftlich inklusivere Form geben sollen. Der zweite große Erneuerungsvorschlag hätte das ebenfalls erreichen wollen. Er erwies sich als noch prekärer, weil er gleich auf die gesamte Bevölkerung Großbritanniens zielte und auf die aller anderen Länder, die den britischen König als ihr Staatsoberhaupt akzeptieren. Nach dem bisher gültigen Ritus huldigten am Ende der Zeremonien die 24 Herzöge des Königreiches dem Monarchen mit Kniefall und einem Gefolgschaftsschwur. Da nun ohnehin viele von ihnen fehlen werden, ließe sich doch die Huldigung gleich auf die ganze Bevölkerung übertragen, sinnierte der Erzbischof von Canterbury, der stattdessen nun am Ende der Krönung alle Völker des Königs aufrufen will, laut zu rufen, dass sie Charles III. Gefolgschaft leisten wollen. Das hat in sozialen Nachrichtenportalen zu raschen unerwünschten Reaktionen geführt und dem – noch immer nicht sehr großen – Kreis von Aktivisten, die Großbritannien in eine Republik verwandeln wollen, zusätzliche Aufmerksamkeit beschert. Charles will schnell nach Indien Die neue Königin Camilla hat unterdessen eigene zeremonielle Sorgen, etwa die, ob das Szepter, das sie im Zuge ihrer Krönung überreicht bekommt, überhaupt noch als rituelles Gerät taugen kann, da es in Teilen aus Elfenbein besteht. Schließlich ist ihr Stiefsohn William, der Prince of Wales, als leidenschaftlicher Gegner des Elfenbeinhandels bekannt. Camilla sprang allerdings eine Dorfchefin aus dem elefantenreichen Botswana zur Seite, die (im Daily Telegraph) kundtat, das mit dem Szepter gehe schon in Ordnung, schließlich stecke darin auch die Botschaft, dass die Elefantenjagd verantwortungsvoll betrieben werden müsse. Schwieriger zu handhaben war die Auswahl der Krone der Königin. Bislang durften die Königinnen, die als Gemahlin eines Regenten mitgekrönt wurden, sich ein neues Schmuckstück wünschen. Das kam unter dem Gebot der Nachhaltigkeit ohnehin kaum infrage. Die nächstbeste Variante wäre die Krone der Mutter Elisabeths II. gewesen. Doch die hält in ihrer Kuppel den Koh-i-Noor, jenen Diamanten, der im Laufe vieler Jahrhunderte in pakistanischem, persischem und indischem Besitz war, bevor ihn Königin Victoria nach der Annexion des Punjab durch Britisch-Indien als Geschenk erhielt. Die indische Regierung ließ jetzt wissen, dass die öffentliche Präsentation dieses 108-karätigen Steins sehr schmerzhafte Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit wachrufen werde. Und Camilla entschied sich, die Krone der Königinmutter Elisabeth lieber im Tower ruhen zu lassen und stattdessen die ältere Krone Queen Marys zu tragen. Der Ausdruck „Juwel in der Krone“ meint im britischen Sprachgebrauch ohnehin durchaus Indien als Ganzes. Er wolle so schnell wie möglich Indien einen Staatsbesuch machen, vertraute Charles kürzlich einem Mitglied des Oberhauses an. Der König, der auf seinen Reisen auch als außenpolitisches Instrument der Regierung fungiert, hat ein eigenes Interesse daran, das Wohlwollen des größten Mitglieds des Commonwealth of Nations zu bewahren. Schließlich hat er seine Mutter Elisabeth in der formellen Rolle des „Head of Commonwealth“ beerbt. Zwei Wochen auf dem Exerzierplatz Dieser Staatenklub, nicht ausschließlich frühere Kolonien des britischen Empire, gewinnt für Großbritannien nach dem Austritt aus der EU an Bedeutung. Aus britischer Sicht ist die Krönung daher die Gelegenheit für einen Zuneigungstest: 33 der 56 Mitgliedstaaten folgten der Einladung, eine militärische Abordnung zur Krönung zu schicken. Die Soldaten, die als „Commonwealth Kontingent“ in der Prozession marschieren, haben zwei Wochen lang auf einem Exerzierplatz der britischen Armee geübt. Die Inder stellen nicht die größte, sondern bloß eine mittlere Formation, die größte kommt aus Kanada. Südafrikanische Soldaten fehlen (auch die südafrikanische Regierung wünscht sich Diamanten zurück – die Cullinans, die unter anderem im Szepter des Königs stecken), aber Gabun und Togo sind in Gruppenstärke angetreten. Diese beiden ehemaligen französischen und deutsch/französischen Kolonien haben jüngst erst erfolgreich die Mitgliedschaft im Commonwealth beantragt, jetzt platzen ihre Soldaten vor Stolz, vor der Königskarosse durch London marschieren zu dürfen. Die Fahnen von Jamaika und Belize wehen ebenfalls in der Formation, trotz des Aufbegehrens ihrer Regierungen gegen den König, der in beiden Ländern noch Staatsoberhaupt ist: Jamaika will im nächsten Jahr eine Volksabstimmung über die Frage entscheiden lassen, ob es sich in eine Republik verwandeln soll, und der Premierminister von Belize, Johnny Briceño, schickt die Botschaft nach London, nach Barbados werde sein Land „sehr wahrscheinlich“ als Nächstes den König abschaffen, das britische Königshaus habe sich ja nicht einmal für „Jahrhunderte des Völkermords und der Sklaverei“ entschuldigt. Die scharfe Kurve am Trafalgar Square Ein britischer Armeehauptmann, der auf dem Exerzierplatz die Generalprobe der Parade beobachtet, erzählt unterdessen, viele Commonwealth-Armeen hätten ja den britischen Exerzierdrill übernommen, da habe man nicht viel erklären müssen, „aber die Gabuner sind am Anfang wirklich komisch gelaufen“. Die meiste Zeit hätten sie in den vergangenen zwei Wochen darauf verwendet, einzuüben, wie sich eine Formation in Zwölferreihe reibungslos auf die Hälfte verschlankt – damit es keinen Stau gibt, wenn die Truppen durch das Tor des Palastes in den Vorhof einziehen. Und während die Londoner Polizei vor allem die Verhinderung von Terrorakten entlang der Strecke im Visier hat – und zu diesem Zweck erstmals weitläufig Kameras mit Gesichtserkennungsfunktionen einsetzt –, macht sich der Londoner Garnisonskommandeur, der die militärische Verantwortung für die größte Truppenformation seit 70 Jahren trägt, die durch die Hauptstadt zieht, vor allem Gedanken darüber, ob der Zug reibungslos die scharfe Kurve am Trafalgar Square nimmt, wo die Militärprozession auf die Mall, die Straße zum Palast, hin einbiegt. Die deutlichsten Zeichen aber, wie es um das Ansehen des Königs und die Bedeutung seines Reiches bestellt ist, lassen sich aus der Teilnehmerliste des Krönungsaktes lesen. Nicht nur Johnny Briceño aus Belize hat die Krönungsparty sausen lassen, sondern auch Joe Biden aus Washington. Der amerikanische Präsident schickt nur seine Frau Jill in die Westminsterabtei. Die chinesische Regierung wiederum lässt sich bei der Krönung ausgerechnet von Vizepräsident Han Zheng repräsentieren – jenem Parteifunktionär, der vor vier Jahren für die Niederschlagung der Proteste in Hongkong verantwortlich war. Daran zeige sich, dass sich China „keinen Deut um Großbritannien schert“, seufzte Lord Patten, der letzte britische Gouverneur der Kronkolonie. Dass Charles’ Schwiegertochter Meghan, die Herzogin von Sussex, lieber in Kalifornien bleibt, anstatt ihren Gatten Harry zu begleiten, wird die britische Regierung leichter verschmerzen als der König. Nicht nur weil Boulevard- und Klatschpresse sich fortdauernd an einem königlichen Familienstreit weiden, sondern weil die amerikanische Herzogin, mit bürgerlicher Herkunft, Erfahrung als Schauspielerin und ethnischem Minderheiten-Erbe, eine Schlüsselrolle hat als Richterin darüber, ob der Monarch und die Dynastie ein zeitgemäßes Erscheinungsbild abgeben. Solange Meghan (und Harry) sich gekränkt fühlen, wird es schwer für Charles, souverän zu wirken. William zapft ein Bier Das gilt trotz der vielen Versöhnungs- und Mitmachbotschaften, die in der Krönung stecken. Die Lesung im Gottesdienst hält Rishi Sunak, ein britischer Premierminister indischer Herkunft; zu den Ehrengästen zählen der muslimische Premierminister Schottlands Humza Yousaf und der muslimische Bürgermeister Londons Sadiq Khan. Die erste anglikanische Bischöfin Sarah Mullally nimmt teil, auch der Primas der irischen Katholiken Erzbischof Eamon Martin. Am Ende des Gottesdienstes hält Charles vor dem Auszug aus der Kirche an, um Geistlichen anderer Religionen zu begegnen. Der Premierminister, der vor siebzig Jahren, zur Krönung Elisabeths II., Großbritannien regierte, hieß Winston Churchill, seine Radioansprache enthielt damals den Satz: „Lasst uns nicht denken, dass das Zeitalter der Ritterlichkeit schon vergangen ist“. Das war eine Anspielung auf die Legende König Arthurs, eines englischen Ur-Mythos. Gilt die Hoffnung noch immer? Am Tag vor der Krönung von König Charles bestimmten der Thronfolger Prinz William und Prinzessin Kate das öffentliche Bild der Königsfamilie – sie hatten einen Pub im Londoner Stadtteil Soho besucht und waren mit der U-Bahn dorthin gefahren. Der Kronprinz zapfte sogar ein Glas Ale der Marke „Kingmaker“. Die Botschaft der Stippvisite richtete sich an alle, die eine Königskrönung in diesen Zeiten für zu teuer und zu unzeitgemäß halten. Am selben Tag veröffentlichten Marktforscher Studien, die angaben, Restaurants, Bars und Pubs allein könnten am Krönungswochenende mit Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Pfund rechnen. Und während William nach seinem kurzen Abstecher hinter die Theke zugab, er sei besser im Bier trinken als im Bier zapfen, verbreitete Kate in der Kneipe gute Laune: „Hier scheint doch schon eine richtige Feierstimmung zu herrschen“, stellte sie fest.