Wednesday, May 18, 2022

Bundeswehr: Kostet viel, taugt wenig, und es dauert

ZEIT ONLINE Bundeswehr: Kostet viel, taugt wenig, und es dauert Hauke Friederichs - Vor 1 Std. 100 Milliarden Euro mehr machen die Bundeswehr noch nicht besser. Eine Studie des renommierten Experten Michael Brzoska bestätigt: Das Problem bleibt die Beschaffung. Der Krieg in der Ukraine war keine drei Tage alt, als Olaf Scholz im Bundestag ans Rednerpult trat. Der Bundeskanzler sprach von einer Zeitenwende, die der Angriff Russlands auf seinen Nachbarstaat ausgelöst habe. Auch für die Bundeswehr: Mit einem 100 Milliarden Euro starken Sondervermögen soll die Truppe fit für die Bündnis- und Landesverteidigung gemacht werden. Eigentlich wollte die Ampel-Koalition in dieser Woche einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament einbringen, um den Geldsegen fürs Militär im Grundgesetz zu verankern. Doch der Punkt sei von der Tagesordnung gestrichen worden, berichtet die Deutsche Presse-Agentur. Zwischen SPD, Grünen und FDP müssen noch Streitfragen geklärt werden. Seit Scholz in seiner Regierungserklärung von neuen Mehrzweckkampfflugzeugen und bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr sprach, dazu Panzer versprach, die auch fahren, und Schiffe, die schwimmen, diskutieren Expertinnen und Experten, Generäle und die Politik darüber, was die Streitkräfte am dringendsten brauchen. Längst heißt es, dass 100 Milliarden Euro nicht reichen, um die Armee zu modernisieren und so auszustatten, dass sie an der Ostgrenze der Nato effektiv die Verbündeten unterstützen kann. Warum sich die Bundeswehr in einem so schlechten Zustand befindet, weshalb sie nicht über die Ausstattung verfügt, die sie braucht, hat Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg untersucht. Seine Studie, die von Greenpeace finanziert wurde, liegt ZEIT ONLINE exklusiv vor. Teurer, später und selbst dann oft nicht einsatzbereit Ob die Bundeswehr mit den 100 Milliarden Euro wirklich insgesamt leistungsfähiger und moderner wird, stellt Brzoskas Arbeit infrage: "Die Ergebnisse dieser Studie begründen erhebliche Zweifel, dass dieses Ziel ohne eine Verschwendung enormer finanzieller Mittel erreicht werden kann", heißt es gleich zu Beginn. Mit Modellrechnungen und Schätzungen kommt Brzoska auf vermeidbare Mehrkosten bei der Beschaffung von Großwaffensystemen in den vergangenen Jahren von zwischen 35 und 54 Prozent. Eingeflossen sind in die Studie die Beschaffungsprojekte der vergangenen Jahre, viele davon wurden deutlich kostspieliger als vereinbart und kamen mit erheblichen Verzögerungen. So war der Hubschrauber NH90 immerhin 32 Prozent teurer als geplant und kam letztlich 11,2 Jahre später als ursprünglich erwartet, die Fregatte 125 war sogar 51 Prozent teurer und noch 5,6 Jahre zu spät. Seit Jahrzehnten soll die Beschaffung der Bundeswehr reformiert, effektiver gemacht werden. Bei Heer, Marine, Luftwaffe und Streitkräftebasis kommen bestellte Waffensysteme nicht nur meist später an als mit der Industrie vereinbart: Oft kann die gelieferte Technik auch weniger als erhofft oder muss noch jahrelang nachgebessert werden, bis die Einsatzbereitschaft erreicht wird. Keine Goldrand-Lösungen Der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte 2010 eine Kommission unter Vorsitz von Frank-Jürgen Weise eingesetzt, dem damaligen Chef der Bundesanstalt für Arbeit. Sie sollte Strukturvorschläge zum Umbau der Bundeswehr erarbeiten. Die Expertinnen und Experten sahen auch bei der Beschaffung dringenden Handlungsbedarf: "Defizite bei Entwicklung, Beschaffung und Nutzung sind umgehend zu beseitigen. Eine weitgehende organisatorische Zusammenführung von Bedarfsträger und Bedarfsdecker im gesamten Prozess stellt dies sicher. Ein kooperativer Beschaffungsprozess mit der Industrie beschleunigt (unter Berücksichtigung internationaler Antikorruptionsnormen) die Beschaffung erheblich. Wo immer möglich und verantwortbar wird auf Off-the-shelf-Technologien zurückgegriffen (keine 'Goldrand-Lösung')." Gemeint ist damit, dass bereits bestehende Produkte gekauft werden – am besten solche Waffen, die bereits bei anderen Nato-Staaten im Einsatz sind. Solche Forderungen gibt es schon lange. Als das Transportflugzeug A400M beschafft wurde, gab es den Vorschlag, besser vergleichbare Maschinen in den USA oder in der Ukraine zu bestellen, um Geld und vor allem Zeit zu sparen. Dazu kam es nicht, Airbus erhielt den Auftrag, ein neues Transportflugzeug zu entwickeln. Laut einem aktuellen Bericht aus dem Verteidigungsministerium beträgt die "Zeitabweichung gemessen an der ersten parlamentarischen Befassung" satte 162 Monate und das Projekt wurde seit der ersten Befassung im Bundestag um gut 1,6 Milliarden Euro teurer. Der A400M stellt damit keinen außergewöhnlichen Fall dar. Der Schützenpanzer Puma kostete laut Ministerium 1,4 Milliarden Euro mehr als in der "Veranschlagung im Jahr der 25 Mio. Euro-Vorlage bei Projektbeginn" im September 2002, die "Zeitabweichung" immerhin 69 Monate. Einzelne misslungene Beschaffungsprojekte wie die Aufklärungsdrohne Eurohawk beschäftigten sogar Untersuchungsausschüsse des Bundestages. 2013 überprüften Parlamentarierinnen und Parlamentarier den Fall der Drohne, die der Bundeswehr neue Fähigkeiten bei der Überwachung bringen sollte, aber bei der Truppe nie eingeführt wurde. Sie stellten in ihrem Abschlussbericht als Zwischenschritt unter anderem fest: "Bis Anfang 2013 wurden zehn Änderungsverträge zum Entwicklungsvertrag geschlossen, durch die das Vertragsvolumen von 431 Millionen Euro auf insgesamt ca. 544 Millionen Euro stieg." Die Summe stieg weiter. Nach dem Eurohawk-Debakel sollte die Beschaffung neu aufgestellt werden. "Das neue Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung ist aufgestellt und beginnt, mit neuen Verfahren zu arbeiten", sagte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière im Mai 2013 vor dem Bundestag. Sein Ministerium schuf ein Wortungetüm als Abkürzung der neuen Behörde: BAINBW. Für Effizienz stehen die sechs Buchstaben heute nicht. Auch die Ankündigung des CDU-Politikers erfüllte sich nicht, de Maizière hatte versprochen: "Wir planen nur, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten wird." Neun Jahre später hat die Bundeswehr so große Fähigkeitslücken, dass sie kaum in der Lage ist, Waffen und Munition an die Ukraine abzugeben und die eigenen Panzerverbände kaum gegen gegnerische Flugzeuge und Hubschrauber verteidigen könnte, sollte es zu einem Kriegseinsatz kommen. Auch wenn die Ideen zur Verbesserung der Beschaffung oft durchaus vernünftig klangen, verbesserte sich durch die praktische Umsetzung wenig. Und so blieb die Beschaffung auch für de Maizières Nachfolger ein Problemfall. Ursula von der Leyen (CDU) installierte mit Katrin Suder eine Staatssekretärin, die aus einem Beratungsunternehmen kam, das Unternehmen auf Effizienz trimmen soll. Effektiver ist der Apparat dennoch nicht geworden. Nun hat die aktuelle Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ihre verbeamtete Staatssekretärin damit beauftragt, die Problemabteilung zu reformieren. Im Koalitionsvertrag der drei Regierungsparteien heißt es schließlich: "Wir richten die Schwerpunkte bei der Beschaffung der Bundeswehr strategisch aus und modernisieren das Beschaffungswesen und seine Strukturen. Dies betrifft auch Materialverantwortung und Nutzung." "Geringe Ausnutzung von Vorteilen internationaler Zusammenarbeit" Wer Brzoskas Studie liest, muss daran zweifeln, dass die erneute Reform gelingt. Der Wissenschaftler ist bei seinen Recherchen auf zahlreiche strukturelle Probleme gestoßen. Er hat drei Hauptgründe ausgemacht, warum die Beschaffung so ineffektiv läuft und so teuer ist. "Zum Einen das übermäßige Streben der Streitkräfte nach Komplexität bei Waffensystemen, zum Zweiten die Bevorteiligung der nationalen Rüstungsindustrie und schließlich lokalpolitische Einflussnahme", stellt Brzoska gegenüber ZEIT ONLINE fest. "Bürokratie wurde in der Beschaffung abgebaut, aber die großen Probleme blieben." Brzoska kritisiert auch, dass mit der Beschaffung immer wieder Industriepolitik betrieben wird. "Zentrale Folgen sind Kosten erhöhende Bevorzugung regionaler und nationaler Rüstungshersteller, geringe Ausnutzung von Vorteilen internationaler Zusammenarbeit, überlange Herstellungszeiten und damit steigende Herstellungskosten sowie zusätzliche Kosten durch Reparaturanfälligkeit und andere Mängel bei beschafften Waffensystemen." Der Experte stellt fest: "Große Waffensysteme sind extrem teuer." Seine Beispiele: "Der Systempreis einer Fregatte der Klasse 126 liegt aktuell bei 1,2 Milliarden Euro; ein Transportflugzeug A400M kostet mehr als 150 Millionen Euro." Und weiter: "Ein Grund für die hohen Stückkosten sind die kleinen Seriengrößen in der Produktion, die zu geringen Lernkostengewinnen führen, ein anderer die häufig nicht sehr wirtschaftlichen Organisationsformen." "Durch unwirtschaftliche Einkäufe sinnlos verschwenden" Brzoska hat aus seinen Erkenntnissen einige Handlungsempfehlungen abgeleitet. So stellt er fest, dass es kostengünstiger sei, auf bereits bewährte Waffen zu setzen. "Bei Neu- und Weiterentwicklungen sollte stärkeres Gewicht auf Einsetzbarkeit und Komptabilität mit anderen europäischen Streitkräften gesetzt werden als bisher." Er sieht zudem große Einsparmöglichkeiten durch "Pooling", die gemeinsame Bedarfsdeckung mehrerer Armeen. Nach seiner Recherche verstehe er "noch weniger, wieso in Nato und EU Streitkräfte so viele unterschiedliche Waffensysteme haben". Das zeigt sich aktuell auch bei den Waffenlieferungen an die Ukraine: Allein bei der Artillerie erhält die Regierung in Kiew zahlreiche unterschiedliche Systeme von den westlichen Staaten. "Ohne eine radikale Reform des Beschaffungswesens wird die Bundeswehr bis zu einem Drittel des Sondervermögens durch unwirtschaftliche Einkäufe sinnlos verschwenden", sagt Alexander Lurz, Abrüstungsexperte bei Greenpeace. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine darf nicht in eine hektische und überteuerte Aufrüstung münden. Es ist eine Illusion, dass das zu echter Sicherheit führen würde oder zu einer funktionierenden Bundeswehr." An einer funktionierenden Truppe aber wird sich nicht nur Verteidigungsministerin Lambrecht, sondern auch der Bundeskanzler messen lassen müssen. Olaf Scholz hat die Ausrüstung der Bundeswehr zur Chefsache gemacht. Als ersten Schritt benötigt er erst einmal eine parlamentarische Mehrheit für die geplante Grundgesetzänderung. Danach stehen er und seine Ministerin vor der Aufgabe, die Beschaffung effektiver zu machen. Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger sind daran in den vergangenen Jahren gescheitert.